320/2018 Woher kommen denn nun die Gefühle?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

unser Jahr 2018 beginnt im Bereich „Gewaltfreie Kommunikation“ mit einer Leserfrage von M. aus Z. und angeregten Diskussionen, wie das denn so ist – mit den Gefühlen. Wodurch werden sie denn nun ausgelöst? Das Ergebnis unserer Gespräche finden sie im Folgenden.

Und wie das manchmal so ist – während man schreibt, kommen weitere Ideen und die haben wir heute mal als ergänzenden und nicht so recht einzuordnenden Nachtrag angefügt. Vielleicht möchten Sie nach dieser Gedanken-Vorlage in Ihrem GFK-Umfeld selbst weiterforschen.

Wir wünschen auch Ihnen eine erkenntnisreiche Woche.

Herzliche Grüße, heute von uns beiden aus Jena

Anja Palitza & Olaf Hartke

Thema: Woher kommen denn nun die Gefühle?

Zitat: Bei der Suche nach einem Zitat ist uns nochmal aufgefallen, wie lange die Menschen schon über Gefühle nachdenken und das man manchmal recht schnell einen GFK-Bezug darin sehen kann. Uns erfreut das jedes Mal, denn wenn ein „Modell des Lebens“ sich auch in Gedanken von vor tausenden Jahren entdecken lässt, ist das für uns eine Bestätigung, dass dieses Modell das Original (Leben, Menschsein) recht gut verdeutlicht.

„Glücklich sind die Menschen, wenn sie haben, was gut für sie ist.“  (Platon, griechischer Philosoph, um 430 vor Christus)

„Im Spiegel siehst du die Unvollkommenheiten deiner äußeren Erscheinung. Bei den Gefühlen die Unvollkommenheiten in deiner Seele.“  [„Unvollkommenheit der Seele“ übersetzen wir uns als unerfüllte Bedürfnisse“] (Demokrit, griechischer Philosoph um 400 vor Christus)

 Auf der Suche nach einem Zitat, in dem wir einen Zusammenhang zum Thema sehen, sind wir auch über einen Gag gestolpert, der überhaupt nichts mit dem Thema zu tun hat. Den möchten wir trotzdem auch noch weitergeben: „Habe heute Nacht von einem Spaziergang an einem warmen Sandstrand geträumt. Das erklärt auch die Fußabrücke im Katzenklo.“ (gesehen auf http://www.pinterest.de)

Beispiel: „In der Adventszeit lese ich auch die Impulse des GFK Adventskalenders. Einer hat mich etwas irritiert. Es war der Impuls von Klaus Karstädt. (Wer sich selbst einen Eindruck verschaffen möchte: http://www.gewaltfrei-online.de/gfk/klaus-karst%C3%A4dt) Er erzählt die bekannte Geschichte der lärmenden Kinder im Tram und will damit zeigen, dass Gefühle aus der Bewertung der Situation entstehen. Meine Irritation: ich gehe davon aus, dass Gefühle von meinen Bedürfnissen ausgelöst werden. Aber vielleicht hat ja auch beides etwas Wahres. Was denkt ihr darüber?“

Information: Gefühle entstehen nach Ansicht von Marshall Rosenberg aus unseren nicht erfüllten oder erfüllten Bedürfnissen. Die Situationen, in die wir Menschen eingebettet sind, bieten nur die Auslösereize. Die Situation an sich, so Rosenberg weiter, kann keine bestimmten Emotionen verursachen. Das Außen, ist demnach nur der Auslöser für unsere Gefühle. Die Bedürfnisse sind die Ursache für unsere Gefühle.

Ob jemand jedoch Bedürfnisse als erfüllt oder nicht erfüllt ansieht, hängt von seinem individuellen Bewertungsprozess ab. Und dieser kann bewusst oder unbewusst stattfinden.

Dieser Bewertungsprozess findet zwischen Situationsauslöser und Gefühl statt  und basiert auf Bewertungen, die sehr schnell ablaufen. So schnell, dass wir diese oftmals gar nicht direkt mitbekommen. Und nach dem ersten bewussten oder unbewussten Bewertungsprozess sind auch erste Gefühle da. Die Gefühle verändern sich weiter in Abhängigkeit weiterer Bewertungen. Eine Situation ohne einen Bewertungsprozess löst in der Regel keine Gefühle aus.

Gerald Hüther beschrieb es in einem Mailwechsel etwa so: Gefühlsentstehung ist kein linearer Prozess an sich ist. Sondern, ausgehend von der Erforschung der Neuronalen Netze im Gehirn, sagt er, dass ähnliche Situationen ähnlich abgespeicherte Erfahrungen im Gehirn wachrufen, damit auch ähnliche Bewertungen und damit auch damalige Gefühle. Da auch hier dann permanent neue Bewertungen dazu erfolgen, verändern sich auch permanent wieder die Gefühle. Manchmal in Nuancen, manchmal gewaltig.

Deshalb erleben die Menschen Situationen auch sehr unterschiedlich aufgrund ihrer Erfahrungen und der rückwärtigen Bewertungen vergangener Situationen und neuer Bewertungen. Für den Einen sind in einer bestimmten Situation alle Bedürfnisse erfüllt und bei einem anderen Menschen in der gleichen Situation sind bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt.

Hilfreich ist für uns aus dem Ganzen: Situationen, Gedanken, Erfahrungen und Bewertungen sind einfach immer da (Auslöser) und lösen Gefühle aus. Wenn man diese Annahme für wahr hält, dann kann man dies für sich nutzbar machen. Man kann sich seiner Bewertungen bewusster werden und sich fragen, ob diese etwas bringen oder ob man die Situation auch anders sehen kann. Man kann sich seine Erfahrungen vor Augen führen und fragen, ob man gerade auf etwas Altes reagiert und die damaligen Bewertungen einfach auf die neue Situation überträgt. Und hier ist das Kostbarste für uns enthalten: Man kann sich entscheiden: Will man aufgrund seiner Bewertungen in das Muster des „Recht haben wollen“ gehen und daraufhin urteilen, was Richtig und was Falsch ist; wer Schuld hat und wer nicht – oder auch seine Aufmerksamkeit darauf richten, welche Bedürfnisse nicht erfüllt sind und was man dafür tun kann, so dass sie genährt und berücksichtigt werden. Deshalb passt für uns Marshalls Aussage: Die Bedürfnisse sind die Wurzeln für unsere Gefühle.

Statt unseres Vorschlages zur Rubrik „Zum-sofort-Üben“ finden Sie heute weiter unten eine neue Rubrik. Aber auch nur in dieser Ausgabe 😉

Sie finden einen Nachtrag mit weiteren Gedanken für Leser, die das Obige noch vertiefen möchten.

Wochenaufgabe: Schauen Sie diese Woche mal genau hin: Was ging Ihren Gefühlen voraus? Bewusstes Denken oder nichts außer blitzschneller Wahrnehmung?

Aktuelles: Wie ist ihre Planung für das neue Jahr? Wollen Sie 2018 Ihre Beziehungen verbessern, sich wirkungsvoller verständigen und klarer kommunizieren? Dazu bieten wir folgende Seminartermine für das Jahr 2018 an:

Zwei intensive 2-tägige Einführungsseminare in die Gewaltfreie Kommunikation finden in Jena statt; am 27./28. Januar 2018 und am 26./27. Mai 2018.

Auf die Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation aufbauend, können Sie diese vertiefen in einem Übungs- und Vertiefungsseminar am 1./2. September 2018 in Jena.

Wer gerne Reisen und Lernen miteinander verbindet, dem legen wir die Bildungsurlaube auf den Nordseeinseln Spiekeroog vom 23.-28.04.2018 und Baltrum vom 07.-12.10.2018 ans Herz.

Alle Termine und weitere Informationen finden Sie hier: www.ab-ins-kloster.de

Herausgeber:
Hartke Unternehmensentwicklung GmbH
Dunlopstraße 9, 33689 Bielefeld
Fon: 05205 / 7290525 und Fax: 05205 / 7290527
© Copyright Anja Palitza, Olaf Hartke

Nachtrag: Während der Vorbereitung dieses Coachingbriefes antworteten wir schon mal unserem Leser und seine Rückantwort machte uns nochmal nachdenklich. Sinngemäß schrieb M., dass für ihn eine Frage immer noch unklar sei:

Wenn die Gefühle erfüllte und unerfüllte Bedürfnisse anzeigen und es dazu einer bewussten Bewertung oder einer unbewussten Bewertung (als abgespeicherte alte Erfahrung) bedarf, wie ist es dann mit dem Gefühl des Hungers eines noch sehr jungen Babys, das weder bewusst seinen Nahrungsmangel bewertet, noch abgespeicherte und schon wieder unbewusste alte Erfahrungen über Nahrungsmangel besitzen kann? Woher kommt bei dem das Gefühl des Hungers?

Dazu (in Ermangelung von Zeit) ein paar Sätze aus der neuen Rubrik

„Erste, ungeprüfte Gedanken von Anja und Olaf“:

Wir glauben es war ebenfalls Klaus Karstädt, der – zumindest in unserer Erinnerung – mal sagte: Es gibt auch Gefühle die genau genommen eher Körperreaktionen sind (Hunger, Durst, Schmerz…).

Unsere selbstgemachte Erklärung nun dazu:

Das Baby empfindet Hunger in Form eines Körpergefühls und benötigt dazu tatsächlich keine alte Erfahrung und auch keinen bewussten Bewertungsprozess. Das Gefühl von Hunger zeigt sich als Körperreaktion im Bereich des Magen des Kindes und erzeugt einen körperlich fühlbaren Schmerz. Mindestens ein „Unwohlsein“. Den zeigt das Kind seiner Umwelt durch Schreien.

Beim Sinnieren darüber kam uns unser Therapie-Ausbilder Dr. Dietmar Friedmann in Erinnerung.

Sein Modell der Psychographie basiert auf dem Axiom, dass Menschen in drei Lebensbereichen leben: fühlen, denken und handeln.

Er veröffentlichte eine ganze Reihe von Triaden (Wörter-Gruppen aus drei Wörtern, die sich jeweils den drei Bereichen zuordnen lassen.

Beispiele:
spielen – lernen – arbeiten
sachlich – praktisch – sensibel
Liebe – Kraft – Weisheit
Körper – Seele – Geist

Jeder Begriff innerhalb der Triade gehört zu einem der drei Bereiche fühlen, denken oder handeln.

(Diejenigen, die jetzt sofort eine innere Logik erkennen und weitere Triaden suchen, gehören nach Friedmann zu den denkorientierten Menschen, die Gefühlsorientierten freuen sich gerade über eine neue Erkenntnis und die handlungsorientierten Leser fragen sich: Und was soll ich damit jetzt machen?)

Eine weitere Triade heißt: Instinkt – Intuition – Intellekt

Und damit sind wir zurück beim Thema GFK und Gefühlsentstehung. Beim Baby entstehen die Gefühle im Bereich des Instinktes. Der wird genetisch vererbt und funktioniert von Geburt an. Einfach so.

Jemand der erschrickt und ängstlich reagiert, weil im Meeting plötzlich sehr laut diskutiert wird, ob er einen Fehler gemacht hat, erzeugt sein Gefühl möglicherweise im Bereich der Intuition. Die könnte ihm in Form einer alten Erinnerung sagen: „Vor der schmerzenden Ohrfeige hat Mutter/Vater auch immer laut gesprochen.“ Dies ist unseres Erachtens ein Beispiel für die von Hüther beschriebene abgespeicherte Erfahrung über das Auftreten und den geahnten (weil bereits mehrfach erlebten) möglichen Fortgang bestimmter Situationen. Dazu benötigen wir keinen bewussten Denkprozess.

Und jemand, der irritiert ist über die Formulierung in der Email eines Kollegen, könnte beginnen zu überlegen, was der Kollege wohl morgen im Meeting an kritischen Äußerungen tätigen wird und ob dieser selbst konstruierten Annahmen und logischer Gedanken dann im Bereich des eigenen Intellektes seinen Ärger entwickeln.

Und eines eint diese drei Beispiele, gleichgültig, in welchem Bewusstseinsbereich sie entstanden sind:
Die Gefühle entstehen darin auf der Basis nicht erfüllter Bedürfnisse. Nahrung. Schutz. Respekt.

Ein Gedanke zu “320/2018 Woher kommen denn nun die Gefühle?

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