420/2019 Scherzen über andere. Risiken und Nebenwirkungen.

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

in den letzten beiden Tagen hatten Anja und ich mehrere Anlässe, uns wieder einmal über das Thema Scherzen auszutauschen. Nachfolgend finden Sie unsere Gedanken dazu.

Herzliche Grüße, heute von uns beiden aus Bad Staffelstein

Anja Palitza & Olaf Hartke

 

Thema: Scherze über andere. Risiken und Nebenwirkungen.

 Zitat: „Witz ist ein schimmerndes Talent, das jeder bewundert; die meisten streben danach, alle fürchten es, außer an sich selbst. … Ein Mann von echtem Witz findet tausend bessere Gelegenheiten, ihn zu zeigen.“  (…als im Gespräch über andere.)(Joachim Heinrich Campe (1746-1818), deutscher Pädagoge, Sprachforscher und Verleger

 Beispiel: Wir sind mit einer Gruppe von Unternehmern und Freiberuflern für zwei Tage im Kloster Vierzehnheiligen in Bad Staffelstein. An diesem Wochenende ist nicht Gewaltfreie Kommunikation das Thema, sondern Reflexion des vergangenen Jahres, sowie Jahres- und Zielplanung für 2020. Einige Teilnehmer sind über Gewaltfreie Kommunikation informiert und  einige haben auch Seminare dazu besucht.

Was wir in den quartalsweise stattfindenden Workshops mit dieser Gruppe immer wieder feststellen können ist, dass die Theorie des Modells mehr oder weniger bekannt ist, doch die Haltung wird im Alltag vermutlich nicht gelebt.

Warum vermuten wir das? An unseren Beobachtungen zum Thema „Scherzen“ möchten wir es erläutern.

Die meisten Teilnehmer kennen sich untereinander bereits viele Jahre. Durch viele und oft tiefgehende Gespräche über Persönlichkeitsaspekte, Familie und Beruf ist eine vertrauensvolle Beziehung zueinander gewachsen. Im Umgang miteinander ist man ehrlich, offen und authentisch. Die gemeinsamen Kloster-Tage sind neben dem ernsten Austausch über wichtige Lebensthemen  auch geprägt von einer „lockeren, humorvollen Lustigkeit“ miteinander. Man kennt sich eben gut und bereits lange.

So wird auch immer wieder miteinander und übereinander gescherzt und die Teilnehmer lachen miteinander und übereinander.

Doch manchmal haben wir den Eindruck, dass die Scherze nicht nur den eigentlichen Zweck des Scherzenden erfüllen, sondern darüber hinaus auch kleine Störungen auf der Beziehungsebene verursachen.

Wir interpretieren das aufgrund der Blicke und Mimik, die wir wahrnehmen, aufgrund des „Zurück-Scherzens“ in einer veränderten Qualität und hören es teilweise aufgrund von persönlichen Rückmeldungen.

Damit nicht ein einseitiges Bild über die Art des Umgangs miteinander entsteht: Die Gruppenmitglieder telefonieren zwischen den Workshops miteinander, besuchen sich teilweise, arbeiten an beruflichen Schnittstellen miteinander, bilden Fahrgemeinschaften, reisen neuerdings auch miteinander. Es bestehen freundschaftliche Verbindungen untereinander und die Art des Scherzens ist nach unseren Erfahrungen nicht anders, als in anderen Gruppen oder Vereinen.

Information: Menschen scherzen im Umgang miteinander aus verschiedenen Gründen. Siehe auch unter „Sofort-Üben“. Eine Art des Scherzens in Gruppen ist das „miteinander übereinander scherzen“ und darauf möchten wir uns hier beziehen.

Bei dieser Art des Scherzens besteht das Risiko, dass es auf der Beziehungsebene zu Störungen kommt. Der Scherzende erfüllt sich mit seinem Scherz (Strategie) eines der unten genannten Bedürfnisse (sh. unter „Sofort-Üben“). Er hat jedoch in dem Moment vielleicht nicht den GFK-Aspekt der Gleichwertigkeit der Bedürfnisse aller an einer Interaktion Beteiligten im Fokus.

Wenn über Menschen gescherzt wird, erfüllen sich manchmal bei diesen Menschen diese Bedürfnisse nicht:

  • Allgemein achtsamer, wertschätzender, respektvoller, rücksichtsvoller Umgang miteinander
  • Wahrung eines bestimmten Selbstbildes
    (Man möchte bestimmte Informationen oder Beobachtungen über sich nicht hören.)
  • Wahrung eines bestimmten Fremdbildes innerhalb einer Gruppe
    (Sorge um Akzeptanz und Zugehörigkeit, Angst vor weiteren Scherzen, die man als „verletzend“ empfindet und nur schwer hören kann.)
  • Toleranz und Akzeptanz persönlicher Eigenschaften und Charaktermerkmale
    (Man möchte so akzeptiert werden, wie man ist.)
  • Schutz vor der eigenen inneren Auseinandersetzung mit belastenden Themen (Leichtigkeit im Hier und Jetzt)

Scherze bedeuten also für Scherzende nichts anderes als Bedürfniserfüllung und gleichzeitig können Scherze für die „Nicht-Erfüllung“ von obigen Bedürfnissen beim Gegenüber sorgen.

Oder in den Begriffen der „Wolfs-Welt“ ausgedrückt: Scherzen kann Gewinner und Verlierer schaffen.

Menschen, über die gescherzt wird und die bestimmte Scherze nicht mit Leichtigkeit und Humor hören können, empfinden häufig eine Verletztheit und sehen möglicherweise den Scherzenden als einen „Täter“, der „Schuld“ an ihrer Verletztheit hat.

Was ist die Folge? Menschen, die sich von anderen benachteiligt sehen, suchen oft einen Ausgleich; möchten wieder Gerechtigkeit herstellen. Die „Verlierer“ (Wir sehen da keine „Verlierer“, sondern Menschen, deren Bedürfnisse in der Situation nicht gesehen und nicht erfüllt werden.) neigen dazu, dies mit der gleichen Strategie („verletzende“ Scherze) zu tun, um wieder „auf Augenhöhe“ zu sein.

In vielen Gruppen-Situationen und auch in beruflichen Teams behält dieses „Spiel“, dieses „Hin und Her“, einen gewissen Rahmen und wirkt tatsächlich unterhaltsam, erheiternd und schafft Fröhlichkeit ohne „bittere“ Gefühle.

Doch immer wieder hören wir von Menschen, dass sie sich am Arbeitsplatz oder auch im Privatbereich in der Anwesenheit mancher Menschen nicht wohlfühlen und sogar Tendenzen entwickeln, diese Menschen oder sogar ganze Gruppen zu meiden.

Wir möchten an dieser Stelle einmal den Blick von einer jetzt möglicherweise aufkommenden „Scherzer-sind-Täter-und-tragen-die-Schuld-an-leidenden-Opfern.“-Sichtweise umlenken auf die GFK-Sichtweise:

Scherzende erfüllen sich Bedürfnisse (sh. unten unter „Sofort-Üben“) und sind manchmal Auslöser für „unangenehme“ Gefühle (Gefühle, die anzeigen, dass sich Bedürfnisse gerade nicht erfüllen) bei den Menschen, auf die sich ihre Scherze beziehen.

Uns gefällt es, wenn Menschen die Bedürfnisse aller Anwesenden einschließlich der eigenen im Blick haben, doch gleichzeitig wissen wir – das ist außerhalb von GFK-Kreisen oft nicht so. Und wenn Menschen die Bedürfnisse anderer nicht im Blick haben, dann gefällt es uns gut, wenn eben diese andere selbst darauf aufmerksam machen. Zum Beispiel mit Aufrichtigkeit in vier Schritten:

„Wenn ich höre, dass Du sagst…(Beobachtung), dann bin ich… (verletzt/enttäuscht/frustriert…, Gefühl), weil mir wichtig ist, dass… (Bedürfnisse, sh. oben).

Und vollständig wird die Aufrichtigkeit in vier Schritten erst durch die Bitte:

  • Entweder die Handlungsbitte:
    „Kannst Du bitte im Moment auf Scherze über mich verzichten?“
  • Oder die Beziehungsbitte:
    „Ich würde gern etwas von Dir dazu hören; wie ist das für Dich, wenn ich das sage?“
  • Und der Vollständigkeit halber hier auch die Verständnisbitte als Option:
    „Und ich möchte gern wissen, was gerade von dem, was ich Dir verdeutlichen möchte, bei Dir angekommen ist. Kannst Du in Deinen Worten nochmal wiederholen, um was es mir gerade geht?“

Jetzt könnte man noch differenzieren in

a) die Scherzenden, die nicht bemerken, dass sich beim Gegenüber Bedürfnisse nicht erfüllen (Oftmals zeigt das Gegenüber auch nicht die ausgelösten Gefühle, sondern steckt nach außen unangreifbar wirkend ein und der Schmerz ist hinter einer Fassade nicht sichtbar.) und

b) die Scherzenden, die bewusst in Kauf nehmen, dass sie durch die Art ihrer Scherze beim Gegenüber Bedürfnisse in Nicht-Erfüllung bringen. (Sh. dazu auch unten unter „Sofort-Üben“ den Punkt 5).

Doch die Beschäftigung damit würde den Rahmen dieses Coachingbriefes vollends sprengen und wäre eher sinnvoll in einem eigenen Workshop oder einem Seminar-Modul. Wie z. B. innerhalb unserer Jahresgruppe „Wandeltage 2020“.
www.wandeltage.de

Dass eine vertiefte Beschäftigung mit diesem Thema für Gruppen sinnvoll sein kann – gerade im beruflichen Umfeld-, habe ich im Jahr 2007 in der GFK-Jahresgruppe von Klaus-Dieter Gens erfahren. Wir haben uns intensiv mit dem Thema Witze beschäftigen können und ich kann auch heute, 12 Jahre später, noch sagen, dass genau dieses Wochenende bei mir dazu geführt hat, dass ich in Gruppen sehr viel stiller geworden bin und immer wieder schlagfertige Antworten für mich behalte. Auch dann, wenn ich sie selbst als sehr witzig und angemessen bewerte. Ich schätze es heute sehr, diese potenziellen Beziehungs-Störquellen zu vermeiden, bzw. mir des Risikos sehr bewusst zu sein, dass Menschen durch bestimmte Scherze vielleicht stilles Leid empfinden könnten.

Der Aufenthalt in Gruppen könnte für viele Menschen entspannter oder sogar erfüllender sein, wenn wir uns der Risiken und Nebenwirkungen unseres Scherzens bewusster wären. Oder wenn wir die Fähigkeit hätten, uns im Falle des Zweifels an den Auswirkungen darüber Klarheit zu verschaffen und das Ergebnis ggfls. auch zu bedauern.

Zum „Sofort-Üben“: Aus welchen Gründen scherzen Menschen? Oder – im Kontext Gewaltfreier Kommunikation gefragt – welche Bedürfnisse erfüllt es Menschen, wenn sie scherzen?
(Unsere Gedanken dazu finden Sie am Ende des Coachingbriefes.)

Wochenaufgabe: Wenn Sie bemerken, dass Sie sich in Gruppen oder auch am Arbeitsplatz mit den Scherzen anderer nicht wohl fühlen – sprechen sie es an. Möglicherweise auch dann, wenn es nicht um Sie selbst geht, sondern Sie den Eindruck haben, dass andere unter den  Scherzen leiden. („Wenn ich höre, dass Du…, dann bin ich etwas unsicher und irritiert. Mir gefällt einerseits gedanklich der Witz in dem, was Du sagst, doch gleichzeitig – und dass ist mir grad wichtiger als der Humor hier – frage ich  mich, wie es XY damit geht, dass zu hören und auch noch die anderen darüber Lachen zu hören.“)

Oder ganz offen in der Team-Sitzung: „Wenn ich manchmal höre, wie wir hier miteinander übereinander scherzen, dann frage ich mich, wie das diejenigen empfinden, über die wir gerade scherzen. Daher möchte ich mal in die Runde fragen und ein paar Stimmen dazu hören: Wie geht es Euch mit unserer Art, hier übereinander Scherze zu machen?“

 Aktuelles

 Januar 2020

Punktlandung. Die Gruppe „Wandeltage 2020“ ist jetzt, Mitte Dezember mit 14 Teilnehmern vollständig und startet im Januar.
Sechs GFK-Wochenenden in sechs verschiedenen Klöstern in der Mitte Deutschlands.

Hier die Information für weitere Interessenten im Jahr 2021:
https://www.erfolgsschritte.de/seminare-trainings/m10_jahresausbildung_gfk.php

 

Weitere Termine im Jahr 2020
http://www.ab-ins-kloster.de

25.01.2020 Vertiefungsseminar Gewaltfreie Kommunikation in Arnsberg 2 Tage – überraschend schnell ausgebucht, Warteliste
https://www.erfolgsschritte.de/seminare-trainings/m04_uebungswochenende_gfk.php

Und weil die Nachfrage für unser Einführungs- und Vertiefungsseminar in Jena so groß ist haben wir auch hier für 2020 schon neue Termine:

08.02.2020 Einführungsseminar Gewaltfreie Kommunikation in Jena – 2 Tage
09.05.2020  Vertiefungsseminar Gewaltfreie Kommunikation in Jena – 2 Tage
https://www.erfolgsschritte.de/seminare-trainings/m03_einfuehrung_gfk.php
https://www.erfolgsschritte.de/seminare-trainings/m04_uebungswochenende_gfk.php

 


In 2020 zum 11. Mal auf der Hohgant-Hütte

Vom 24.-28.02.2020 exklusiv für Paare – Die Schneeschuhwanderung mit Paar-Themen im GFK-Seminar.

Kennen Sie diese Herausforderungen in der Partnerschaft?

  • Das „Schmetterlinge-im-Bauch-Gefühl“ geht innerhalb von 6-12 Monaten nach dem ersten „Verliebtsein“ verloren.
  • Die Partner entwickeln während ihrer Beziehung unterschiedliche Interessen und stellen die Weichen für veränderte Lebenswege.
  • Berufliche Veränderungen, eigene Kinder und möglicherweise noch Wohneigentum sorgen für neue Herausforderungen.
  • Zärtlichkeit und Sexualität bekommen für den Partner eine andere Bedeutung und einer von beiden „kommt zu kurz“.
  • Konflikte lassen sich nur noch schwer oder gar nicht mehr klären und belasten die Partnerschaft dauerhaft.
  • Im Spannungsfeld zwischen den Konfliktthemen und den veränderten persönlichen Interessen gelingt die Kommunikation nicht mehr wie früher und die Gespräche werden kürzer und schwieriger.

https://www.erfolgsschritte.de/seminare-trainings/m05_gewaltfrei_leben_hohgant_paare.php

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Wie gewohnt in 11-jähriger Tradition auf der Hohgant-Hütte

Das Leben lieben lernen – Gewaltfrei leben – Die Schneeschuhwanderung für Einzelpersonen und Paare mit allgemeinen Lebens-Themen im GFK-Seminar.

Zwei Dinge beschäftigen die meisten Menschen:

  • Wie kann ich sagen, was ich denke und mir gleichzeitig die Kooperation meines Gegenübers erhalten?
  • Wenn ich keinen Einfluss auf das Verhalten meines Gegenübers habe, wie kann es mir gelingen, mich selbst nicht zu ärgern?

29.02.-04.03.2020 auf der Hohganthütte bei Interlaken im Naturpark Berner Oberland

https://www.erfolgsschritte.de/seminare-trainings/m05_gewaltfrei_leben_hohgant.php

 

Herausgeber:
Hartke Unternehmensentwicklung GmbH
Dunlopstraße 9, 33689 Bielefeld
Fon: 05205 / 7290525 und Fax: 05205 / 7290527
http://www.ab-ins-kloster.de
© Copyright Anja Palitza und Olaf Hartke

 

Unsere Gedanken zum Sofort-Üben:

Wir sehen diese mögliche Einteilung des Scherzens in fünf verschiedenen „Qualitäten“:

Es geht dem Scherzenden um

  1. Humor und Leichtigkeit,
    man möchte die Freude an Spaß und Lachen genießen.
  2. Unterstützung und Hilfestellung,
    man möchte jemanden mittels eines Scherzes auf etwas hinweisen oder etwas über ihn deutlich machen und damit zu Erkenntnis und Entwicklung beitragen.
  3. Verbindung und Zugehörigkeit,
    man möchte sich mit einzelnen Menschen aus der Gruppe oder innerhalb einer Untergruppe in der Gruppe als zugehörig und verbunden erleben und scherzt über „die Anderen“ der übergeordneten Gruppe.
  4. Anerkennung und Aufmerksamkeit,
    man möchte von anderen gesehen und wahrgenommen werden z.B. für eine bestimmte Schlagfertigkeit oder das Finden besonders geistreicher, tiefsinniger Scherz-Aspekte,
  5. Ausgleich und Gerechtigkeit,
    man spürt eine Verletztheit aufgrund des Verhaltens anderer in sich und möchte dies ausgleichen, sich wieder „auf Augenhöhe“ befinden.

2 Gedanken zu “420/2019 Scherzen über andere. Risiken und Nebenwirkungen.

  1. Pingback: 421/2019 English for Runaways – Coachingbriefe "Gewaltfrei leben"

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