Liebe Leserinen, liebe Leser,
wir freuen uns so und möchten diese Freude mit Ihnen teilen.
Prof. Dr. Gerald Hüther war im November unser Gastredner beim 3. Erfurter GFK-Tag. Seinen Vortrag zum Thema „Macht miteinander“ hat er dem Verein zur Verfügung gestellt und der Vortrag ist nun im Internet veröffentlicht:
http://www.gfk-erfurt.org/veranstaltungen/impressionen-vom-3-gfk-tag/
Für alle, die nicht mit dabei sein konnten, ist es nun möglich, ein klein wenig einzutauchen in die neurowissenschaftlichen Hintergründe von Macht, Machtentstehung und Potentialentfaltung. Und auch eine Menge Verbindungen zur Gewaltfreien Kommunikation stellt Hüther in seinem Vortag dar.
Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Woche.
Herzliche Grüße aus Jena und Bielefeld
Anja Palitza & Olaf Hartke
PS: Das nachfolgende Beispiel haben wir durch den Versuch einer Zusammenfassung von Hüthers Vortrag verdeutlicht. Vielleicht reizt es Sie nach unserem Informationstext, den Vortrag ganz anzusehen.
Thema: Die Basis für optimales Lernen und Potentialentfaltung
Zitat: „Erst wenn diese Grundvoraussetzung, dass sich das Kind angenommen und respektiert fühlt, gegeben ist, ist es wirklich fähig, aufmerksam, motiviert und emotional dabei zu sein, was wiederum die Basis für optimales Lernen darstellt.“ (Manfred Spitzer)
Beispiel: Dominik sitzt am Tisch und macht Hausaufgaben. Er sieht traurig aus. Seine Erzieherin, die er sehr mag, betrachtet ihn und spricht ihn an:
„Dominik, was ist los? Kriegst Du die Aufgaben wieder nicht hin?“
Dominik: „Ja! Ich bin einfach zu blöd. Ich werde Mathe nie kapieren.“
Er wirft seinen Stift durch den Raum. Sein Heft folgt hinterher. Die Erzieherin hebt das Heft auf und schaut hinein und bemerkt:
„He, Du hast doch bisher alles richtig gerechnet. Du machst das schon richtig gut. Ich verstehe gar nicht, weshalb Du so wütend bist. Du brauchst nur weiter zu rechnen.“
Dominik schreit: „Ach – richtig gerechnet! Das ist es ja, mich versteht keiner hier. Sie nicht und die in der Schule auch nicht. Ich kann es keinem Recht machen. Immer ist irgendetwas nicht in Ordnung.“
Beim letzten Satz springt Dominik auf und verlässt den Raum. Hinter ihm fällt die Tür laut ins Schloss.
Information: Nach Gerald Hüthers Forschungsergebnissen benutzt unser Gehirn zur Signalisierung von Beziehungsproblemen die gleichen neuronalen Netzwerke wie auch bei körperlichen Schmerzen. Das heißt, wenn Bedürfnisse des Miteinanders, wie Zugehörigkeit, Verbundenheit, Respekt, Angenommen sein, Gesehen werden, Nähe, etc. nicht erfüllt sind, dann passieren im Gehirn ähnliche Dinge wie bei starken körperlichen Schmerzen.
Ähnlich wie körperlicher Schmerz, lösen unerfüllte Bedürfnisse des Miteinanders Stress-Signale im Gehirn aus und dieser inkohärente Zustand im Gehirn ist für Menschen schwer auszuhalten. Auf einer bewussten Ebene versuchen wir die Ursache des körperlichen Schmerzes abzustellen und auch über das Auflösen von Beziehungsproblemen machen wir uns bewusste Gedanken. Und gleichzeitig versuchen auch die uns unbewussten Anteile unseres Gehirns, solche Zustände zu vermeiden und wieder ein Gleichgewicht herbeizuführen. Das Gehirn trägt selbst unbewusst dazu bei, dass wieder Ruhe einkehrt. Tief verankert im Gehirn der meisten Lebewesen ist ein Überlebenstrieb und der meldet in Stress-Situationen einen stark erhöhten Energieverbrauch. Und die unbewussten Gehirnteile versuchen daher – neben unseren eigenen, bewussten Überlegungen im Frontalhirn – ganz automatisch wieder für Ruhe zu sorgen und in einen Zustand von geringerem Energieverbrauch zurückzukommen.
Wenn uns auf der bewussten Ebene nicht sehr schnell etwas einfällt, übernehmen unbewusste Regionen in den neuronalen Netzwerken die Kontrolle und denen ist es in bestimmten Situationen erstmal egal, welche Begleiterscheinungen schnelle Lösungen mit sich bringen. Viele Dinge, die Beruhigung bringen, sind erstmal eine Lösung und jede schnell einsetzende Beruhigung wirkt wie ein Erfolgserlebnis im Gehirn.
Kinder nutzen oft Strategien, die sie von den Erwachsenen gelernt haben. Nach Hüther machen viele Erwachsene andere Menschen zu „Objekten eigener Bewertungen, Wünschen oder Absichten“. Viele Erwachsene haben gelernt, wie sie andere Personen nach ihren Vorstellungen lenken und für ihre Zwecke nutzen können.
Manche Kinder/Jugendliche können dieses „andere zu Objekten machen“ weniger gut und sie machen sich stattdessen häufig selbst zu Objekten. Das heißt, sie geben sich selbst die Schuld, sie bewerten sich selbst negativ, nehmen sich selber nicht so wichtig und ernst, fügen sich selbst Schmerzen zu – bis hin zu selbstzerstörerischen Handlungen, wie Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum, etc. Alles in dem Versuch, im Gehirn Kohärenz herzustellen.
Viele dieser Möglichkeiten sind jedoch keine wirklich hilfreichen Strategien für die angestrebte Kohärenz. Sie beinhaltet nach Aaron Antonovsky, dem Begründer der Salutogenese, drei wesentliche Aspekte:
- Die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen – das Gefühl der „Verstehbarkeit“ dessen, was einen umgibt.
- Die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können – das Gefühl der „Handhabbarkeit“ von allem, was geschieht und geschehen soll.
- Der Glaube an den Sinn des Lebens – das Gefühl der „Sinnhaftigkeit“ des eigenen Daseins in der Verknüpfung mit anderen.
Sind diese drei Kohärenzaspekte gegeben, erlebt sich der Mensch als Subjekt und kann auch seine Mitmenschen so wahrnehmen. Fehlt es an einzelnen oder gar an allen, dann erlebt sich der Mensch entweder selbst als Objekt oder er neigt dazu, auch andere zum Objekt zu machen.
Die Gewaltfreie Kommunikation – so Hüther, kann dazu beitragen, sich selbst wieder als Gestalter des eigenen Lebens zu erleben. Sie trägt zu Erkenntnissen und Verhaltensmustern bei, die uns selbst und andere leichter wieder als Subjekte wahrnehmen lassen.
Gerade in der Komplexität der heutigen Welt sei es wichtig, dass Menschen zusammenfinden und sich in einer Art unterstützen, die sie sich wieder als Menschen (Subjekte) erleben lassen und die dazu beitragen, ein Bewusstsein der eigenen Würde herauszubilden. Dann beginnt man, aus sich selbst heraus Bedeutung zu gewinnen und erlebt sich durch sich selbst als bedeutsam.
Wenn man nicht selbst seine Bedeutsamkeit wahrnimmt, dann ist man nach Hüther abhängig von der Gabe der Bedeutsamkeit durch andere. Und deren Erwartungen und Bewertungen werden dann einen großen Einfluss haben. Dann sucht man beständig Situationen, die die Bestätigung geben, dass man Bedeutung hat. Diesen Menschen fehlt oftmals die Erfahrung der bedingungslosen Liebe durch andere.
Marshall Rosenberg hat mit der Gewaltfreien Kommunikation einen Weg aufgezeigt, wie sich Menschen wieder als Subjekte erleben lernen können und wie sie andere ermutigen können, sich aus der eigenen Objekterfahrung wieder heraus zu entwickeln. Damit werden Menschen sich der eigenen Würde wieder bewusster, weniger verführbar und können die Potentiale des Menschseins viel besser entfalten. Die Potentialentfaltung im Menschen – Gerald Hüthers großes Anliegen – muss man daher nicht „machen“, sondern sie „geschieht“ und ist unvermeidbar, wenn sich Menschen als Subjekte wahrnehmen und begegnen.
Zum „Sofort-Üben“: Welche Gefühle zeigen bei Dominik an, dass für ihn bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt sind? Und welche Bedürfnisse vermuten Sie dahinter?
(Unseren Vorschlag dazu finden Sie am Ende des Coachingbriefes)
Wochenaufgabe: Wann erleben Sie sich selber als Subjekt? Was braucht es aus Ihrer Sicht dazu und wie können andere Menschen dazu beitragen?
Aktuelles: Wollen auch Sie aus der Welt der Objekte aussteigen und sich wieder mehr als Subjekt erleben und erfahren, wie sie auch andere unterstützen können, in ihr ureigenes Potential zurückzukehren? Dann nutzen Sie die nächsten Termine, die wir für Sie anbieten:
Einführungsseminar Gewaltfreie Kommunikation am 26./27. Mai 2018 in Jena.
Übungs- und Vertiefungsseminar am 1./2. September 2018 in Jena.
Wer gerne Reisen und Lernen miteinander verbindet, dem legen wir den Bildungsurlaub auf der Nordseeinsel Baltrum vom 07.-12.10.2018 ans Herz.
Spiekeroog im April ist bereits ausgebucht.
Alle Termine und weitere Informationen finden Sie hier: www.ab-ins-kloster.de
Herausgeber:
Hartke Unternehmensentwicklung GmbH
Dunlopstraße 9, 33689 Bielefeld
Fon: 05205 / 7290525 und Fax: 05205 / 7290527
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Unser Vorschlag: Das Beispiel ist einer Supervisions-Sitzung mit einer Erzieherin in einem Kinderheim entnommen. Gerade für Heimkinder ist dieses Zitat von Marshall Rosenberg oft zutreffend: „Manche Menschen zeigen ihre Bedürfnisse auf eine Art und Weise, dass es anderen Menschen schwerfällt, diese Bedürfnisse zu erkennen.“
Dominik scheint frustriert, resigniert und wütend zu sein.
Vielleicht wünscht er sich, dass endlich mal gesehen wird, wie anstrengend Mathematik für ihn ist. Und was es für ihn bedeutet, sich Tag für Tag damit auseinanderzusetzen. Er erlebt eine große Belastung, da er die Sorge hat, in der Schule zu versagen.
Er braucht auch die Zuversicht, dass er auch angenommen ist und anerkannt wird, wenn er die gewünschten Leistungen in Mathematik mal nicht erreichen können wird.
Durch das Erleben von Sinnhaftigkeit, Selbstbestimmung bei gleichzeitigem Verständnis, wofür er sich so anstrengt, würde ihm das Lernen viel leichter fallen und hätte eine andere Motivation als Grundlage.
In der Angst vor dem erneuten Verlust von Bindung und Anerkennung; in der Unklarheit, wofür er da lernt und unter dem durch die Schule und Erzieher gesteuerten, nicht selbstgewählten Zeitpunkt des Lernens, erlebt Dominik Lernen als eine Belastung und es kostet ihn viel Anstrengung, sich täglich damit auseinanderzusetzen.