633/2024 Vom Mut, sich zu zeigen

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

„Ich bin eure Stimme“ ist ein Buch von Nadia Murad, das mich, Anja, zutiefst bewegt und berührt hat.

Nadia ist eine heute 30-jährige jesidische Frau, die immer wieder auf internationaler Ebene für die Rechte der Überlebenden von sexualisierter Gewalt und Menschenhandel eintritt. Sie engagiert sich aktiv für Bekämpfung von Extremismus. Sie spricht in ihren Vorträgen über ihre Erlebnisse als damals 21jähriges Mädchen, das den Terror des „Islamischen Staat“ überlebt hat und fliehen konnte.

Als ich das Buch gestern zu Ende gelesen habe, saß ich noch eine ganze Weile still und mit Tränen in den Augen da. Meine Gedanken blieben noch lange bei dieser Lebensgeschichte und kehren auch heute immer wieder dahin zurück.

Etwas in mir drängt nun, dass ich nicht meinen morgendlichen Routinen nachgehe und womöglich die Geschichte über den Alltag hinweg vergesse, sondern etwas tue. Was könnte mein Beitrag sein?

Ich verfasse einen Coachingbrief dazu und möchte damit aktiv dazu beitragen, dass dieses Buch von weiteren Menschen gelesen wird und sich mit diesem Thema konfrontieren auch wenn man lieber die Augen vor dieser unfassbaren Wirklichkeit gern verschließen würde.

Herzliche Grüße, heute noch aus Jena und Bielefeld
Anja Palitza & Olaf Hartke

Thema: Vom Mut, sich zu zeigen

Zitat: „Über die schweren Themen zu sprechen, dass hilft mir sehr; weil ich zuhause eher weinen würde. Hier weiß ich, dass ich etwas tue.“ (Nadia Murad)

Beispiel: Nadia Murad schreibt am Ende in ihrem Buch „Ich bin eure Stimme“:

„Es wird auch nach vielen Malen nicht einfacher, die eigene Geschichte zu erzählen. Jedes Mal, wenn man darüber redet, durchlebt man sie von neuem. Wenn ich jemanden berichte, wie ich am Checkpoint von den Männern vergewaltigt wurde, wie ich die Peitschenhiebe von Hatschi Salman durch die Decke hindurch spürte, oder wie sich der Himmel von Mossul verdunkelte, als ich in der Stadt auf der Suche nach jemanden, der mir helfen würde, umherstreifte, werde ich wieder in diese Momente mit all ihren Schrecken zurück versetzt. Auch andere Jesiden werden immer wieder von solchen Erinnerungen heimgesucht…

…Trotzdem habe ich mich daran gewöhnt, Reden zu halten; ich habe auch keine Scheu mehr vor großem Publikum. Meine Geschichte, aufrichtig und sachlich-nüchtern erzählt, ist die beste Waffe, die ich gegen den Terrorismus habe, und ich habe vor, sie einzusetzen, bis diesen Terroristen der Prozess gemacht wird. Es gibt noch so viel zu tun…

…Meine Ansprache (ans Publikum) war kurz. Erst erzählte ich meine Geschichte, dann sagte ich meinen Zuhörern, dass ich nicht dazu erzogen worden sei, Reden zu halten. Ich erklärte, alle Jesiden würden sich wünschen, dass der „Islamische Start“ wegen des Völkermords zur Verantwortung gezogen werde und dass es in ihrer Macht liege, dabei zu helfen, gefährdeten Menschen in aller Welt beizustehen. Ich sagte, dass ich den Männern, die mich vergewaltigt haben, in die Augen sehen und erleben will, dass sie vor Gericht gestellt werden. Und mehr als alles sonst, sagte ich, wünsche ich mir, das letzte Mädchen zu sein, das eine Geschichte wie meine zu erzählen hat.“

Amal Clooney schreibt als Anwältin von Nadia Murad folgendes im Vorwort dieses Buches.

„Im Jahr 2014 griff der „Islamische Staat“ Nadjas Dorf im Irak an und zerstörte das Leben der 21-jährigen Schülerin. Sie musste mit ansehen, wie ihre Mutter und ihre Brüder weggebracht wurden, um später getötet zu werden. Nadja selbst wurde von einem Kämpfer des „Islamischen Staats“ zum nächsten weiter gereicht. Man zwang sie zu beten; man zwang sie, sich vor den Vergewaltigungen schön anzuziehen und zu schminken; und eines Nachts wurde sie von einer ganzen Gruppe von Männern brutal missbraucht, bis sie das Bewusstsein verlor.

Nadja gehörte zu den tausenden Mädchen und Frauen, die der „Islamische Staat“ verschleppte, um sie auf Märkten und über Facebook zu verkaufen, oft für nicht mehr als 20$. Nadjas Mutter wurde zusammen mit 80 anderen älteren Frauen hingerichtet und in einem Massengrab verscharrt. Sechs ihrer Brüder gehörten zu den hunderten von Männern, die an einem einzigen Tag in ihrem Dorf ermordet wurden.

Es war Völkermord, was Nadja da schilderte. Und Völkermord ereignet sich nicht zufällig. Er setzt Planung voraus.“

Information: Was mich beeindruckt: Nadia Murad geht in die Sichtbarkeit. Sie tritt in die Öffentlichkeit und verändert damit ein Stück die Welt. Sie hätte auch bei all ihren Verletzungen und dem Leid, was sie erlebt hatte in die Hilflosigkeit abgleiten können. Doch sie will ihrem Überleben einen Sinn geben und hat ihn gefunden. Sie verbindet sich dazu mit anderen Menschen und sie sucht Unterstützung für ihr großes Ziel, dass die Terroristen zur Rechenschaft gezogen werden und auch religiöse Minderheiten in Sicherheit und Frieden leben können.

In einem Artikel über eine Veranstaltung mit Nadia Murat – inzwischen ist sie UN-Sonderbotschafterin – schreibt Pastorin Ulrike Koertge (Leiterin der Evangelischen Erwachsenenbildung Niedersachsen):

„Macht im ursprünglichen ‚kreativen‘ Sinn entsteht dort, wo etwas geschieht; wo Ohnmacht überwunden wurde und Menschen ins Handeln kommen.“

Und hier sehen wir auch die Parallele zur Gewaltfreien Kommunikation. Marshall Rosenberg sagte einmal:

„Frieden beginnt in uns selbst. Damit meine ich nicht, dass wir uns zuerst von all unseren inneren gewaltvollen Erfahrungen befreien müssen, bevor wir nach außen auf die Welt schauen oder auf einer höheren Ebene am sozialen Wandel mitwirken können. Was ich meine ist, das wir diese Dinge gleichzeitig tun können.“

Eine wesentliche Grundlage der Gewaltfreien Kommunikation ist die Bewusstheit, dass alle Menschen die gleichen Bedürfnisse haben. Sie sind darüber miteinander verbunden und zu ihrer Erfüllung auch wechselseitig voneinander abhängig. Das ist uns im Alltag oft nicht so bewusst, da wir stattdessen immer wieder aufgrund unseres ständigen Urteilens und Bewertens Trennung erschaffen. So trennen wir sehr häufig zwischen „richtig und falsch“; zwischen „Gut und Böse“; wir leiten daraus unsere Reaktionen und Handlungen ab und wir rechtfertigen sie auch damit.

Aus dieser Erkenntnis resultiert für uns persönlich die beständige Aufgabe, das immer wiederkehrende selbstgeschaffene Erleben „des Getrenntseins“ zu überwinden und damit auch die Verantwortung dafür zu übernehmen und so zu einer Kultur des Lebens in Gemeinschaft beizutragen. Es ist bereits ein großer Schritt, die Haltung hinter der Gewaltfreien Kommunikation in persönlichen Bereichen anzuwenden und sie zu leben zu versuchen.

Ein weiterer Schritt kann sein, die persönlichen Erkenntnisse weiterzugeben an interessierte Menschen und ihnen zu erzählen, dass das Leben so anders sein könnte, wenn wir die Fallen unserer alltäglichen Kommunikation umgehen könnten. Immer mehr Menschen tun dies bereits.

Marshall Rosenberg war in über 60 Ländern der Welt aktiv und hat Workshops angeleitet. Immer wieder wurde er mit der Bitte um Vermittlung auch in Kriegs- und Krisengebiete gerufen. So war er u.a. im Nahen Osten, Irland, Ex-Jugoslawien und Ruanda tätig. Wir erlebten ihn in Trainings als einen Menschen, der die vorherrschende Systeme verbessern und menschlicher gestalten wollte und unermüdlich darum rang, zu einem wirklichen Miteinander beizutragen.

Er war in den letzten Jahren seines Lebens manchmal sehr ungeduldig und wir erinnern uns an einen sehr berührenden Moment mit ihm. Wir waren mit ihm spazieren, standen zu Dritt nebeneinander an einem Hang und schauten in die Landschaft.

Mit Tränen in den Augen sagte er:

„Wir könnten so anders miteinander leben; gesellschaftliche Veränderung ist möglich, wir erleben dass doch immer wieder – wo wir auch mit Menschen arbeiten. Warum dauert das alles nur so verdammt scheiß lange.“

Die Arbeit von Marshall Rosenberg wird weltweit fortgeführt; an vielen, vielen Stellen setzen sich international Menschen für ein friedvolles Miteinander ein. Das stimmt uns zuversichtlich und wir sind unendlich dankbar für den Mut, den Einsatz und das Engagement so vieler Menschen. Und wir sind sehr, sehr gern ein Teil dieser wachsenden Gruppe.

Vielleicht haben Sie ebenfalls Interesse etwas zu verändern.

Aktuelles

Verbale Raumpfleger*Innen gesucht
Wie Sie als Führungskraft wirksam und nachhaltig die Kommunikation in Teams oder Gruppen verbessern können – diese Idee möchten wir Ihnen (A) in einem Info-Webinar vorstellen und (B) anschließend in einer 3-teiligen Online-Workshop-Reihe mit Ihnen vertiefen.
Beides ist in diesem Jahr noch kostenfrei.

(A)  Info- und Frage-Webinar dazu mit Terminen und Anmeldung:
DI, 01.10.2024 um 19.30 Uhr (30 Min.)

(B)  Verbale Raumpfleger*Innen gesucht
GRATIS: 3-teilige Webinar-Reihe für Menschen mit Führungsaufgaben in Unternehmen und Organisationen (je 90 Min. Dauer)
Workshop 1 – MI, 02.10.2024 um 19.30 Uhr
Missverständnisse und Konflikte in Teams und Gruppen verstehen

Workshop 2 – MI, 09.10.2024 um 19.30 Uhr
Klarheit und Verständnis in der Team-Kommunikation fördern

Workshop 3 – MI, 16.10.2024 um 19.30 Uhr
Veränderungen anstoßen und interne Gesprächskultur mitgestalten
Zur Anmeldung

Online-Trainings 2024/2025
07.11.2024  Trainer(Innen)-Ausbildung (4 Module, 20 Tage, Trainerteam)
27.12.2024  „Songs an einem Winterabend“; Lieder von Marshall Rosenberg
06.11.2025  Trainer(Innen)-Ausbildung (4 Module, 20 Tage, Trainerteam)
Weitere Infos zu allen Terminen in unserer Übersicht auf der Website

Präsenz-Seminare 2024
29.09.2024  Führungskräftetraining auf Basis GfK am Jadebusen im Kunze-Hof (5 Tage)
06.10.2024  Bildungsurlaub „Einführung GfK“ auf Spiekeroog (5 Tage)
13.10.2024  Bildungsurlaub „Einführung GfK“ auf Baltrum (5 Tage)
12.12.2024  Auszeit für Unternehmer-Paare – Jahresplanung 2025 (2 Tage)
Weitere Infos zu allen Terminen in unserer Übersicht auf der Website

Präsenz-Seminare 2025
10.01.2025  Start in das neue Jahr 2025 mit Gewaltfreier Kommunikation in Hünfeld (3 Tage)
xx.02.2025  „Gewaltfrei leben“ – Schneeschuhwanderung zur Hohganthütte (5 Tage)
11.03.2025  Systemisches Konsensieren – Entscheidungsfindung in Gruppen (3 Tage)
14.03.2025  Auszeit für Unternehmer-Paare – Ziele-Update im Frühjahr (1 Tag)
23.03.2025  Bildungsurlaub „Einführung GfK“ auf Baltrum (5 Tage)
15.04.2025  Start der Trainer*Innen-Ausbildung (4 Module, 20 Tage, Trainerteam)
13.06.2025  Auszeit für Unternehmer-Paare – Halbzeit! Zwischenbilanz im Sommer (2 Tage)
20.06.2025  „Wandeltage unendlich“ – Jahres-Treffen der Vorjahres-Gruppen (3 Tage)
29.08.2025  Start der „Wandeltage 2025“ – GFK-Jahresgruppe (6 Module)
12.09.2025  Auszeit für Unternehmer-Paare – Ziele-Update im Herbst (1 Tag)
23.09.2025  Gewaltfreie Kommunikation in Verbindung mit Musik und Gesang (5 Tage)
07.10.2025  Systemisches Konsensieren – Entscheidungsfindung in Gruppen (3 Tage)
12.10.2025  Bildungsurlaub „Einführung GfK“ auf Baltrum (5 Tage)
19.10.2025  Führungskräftetraining auf Basis GfK auf Baltrum (5 Tage)
12.12.2025  Auszeit für Unternehmer-Paare – Jahresplanung 2026 (2 Tage)
Weitere Infos zu allen Terminen in unserer Übersicht auf der Website

Herausgeber:
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Fon: 05205 / 7290525 und Fax: 05205 / 7290527
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© Copyright Anja Palitza & Olaf Hartke

2 Gedanken zu “633/2024 Vom Mut, sich zu zeigen

  1. Avatar von Doris Doris

    Ich möchte zum Thema Gewaltfreiheit die Artikel des Friedensforschers Franz Jedlicka empfehlen, der nachgewiesen hat, dass Kriege im 21. Jahrhundert nur mehr von Ländern gestartet (es geht nicht um Verteidigungskriege) werden, in denen bereits vorher eine hohe Kultur der Gewalt geherrscht hat, die man an der Gesetzgebung des betreffenden Landes identifizieren kann: sie erlauben noch Gewalt in der Kindererziehung, Gewalt gegen Frauen … oft auch noch die Todesstrafe und die Folter. Wer Weltfrieden will, muss sich also z.B. für ein weltweites Verbot der Prügelstrafe in der Kindererziehung einsetzen (derzeit in nur einem Drittel der Länder weltweit verboten).

    MfG Doris

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    1. Avatar von Anja Palitza Anja Palitza

      Ich danke Dir für den Hinweis, liebe Doris und teile die Einschätzung. Die Menschheit benötigen dringend weltweit, dass Kinder gewaltfrei aufwachsen können. So wichtig, dass nicht immer wieder neue Traumata geschaffen werden.

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