355/2018 Wenn Kinder und Jugendbetreuer sich gegenseitig nicht hören

Liebe Leserin und lieber Leser,

die Grundlage des heutigen Coachingbriefes ist ein Erlebnis vom vergangenen Wochenende – eine kurze Begegnung mit Kindern und deren jugendlichen Betreuern.

Herzliche Grüße, diese Woche aus Jena und Hengelo
Anja Palitza & Olaf Hartke

Thema: Wenn Kinder und Jugendbetreuer sich gegenseitig nicht hören

Zitat: „Eltern sind Vorbilder für ihre Kinder, denn von ihnen lernen sie, ihr inneres Licht zu finden und für andere einzusetzen.“ (Peter Lauster)

„Es gibt kein problematisches Kind. Es gibt nur problematische Eltern.“ (Alexander Sutherland Neill)

„Es gibt weder problematische Kinder, noch problematische Eltern. Es gibt allerdings kleine und große Menschen, die noch sehr angestrengt Möglichkeiten suchen, das gemeinsame Miteinander so zu gestalten, dass sich alle Beteiligten damit wohl fühlen.“ (Anja Palitza und Olaf Hartke)

Beispiel: Ich (Olaf) sitze mittags mit Workshop-Teilnehmern im Speisesaal eines Klosters, das neben uns an diesem Wochenende noch eine Gruppe von Kommunionkindern beherbergt. Die Kinder kommen hereingelaufen, schreien dabei durcheinander, lachen und rufen. Uns fällt es durch die Lautstärke schwer, das Tischgespräch fortzusetzen. Die anwesenden Betreuer rufen sich und den Kindern ebenfalls etwas zu, was ich aufgrund des Lautstärkepegels nicht verstehen kann. Erst als die Kinder die Mahlzeit beendet haben und den Speisesaal wieder verließen, konnten wir unsere Tischgespräche fortsetzen.

Nachmittag. Kaffeezeit im Speisesaal. Eine Betreuerin ist mit einigen Kindern anwesend. Die Kinder schreien, rufen und lachen durcheinander – die Betreuerin versucht etwas zu erklären und nutzt dafür ebenfalls eine relativ hohe Lautstärke, um gegen die Geräuschkulisse der Kinder anzukommen. Eine Teilnehmerin meiner Gruppe steht auf und bittet die Nachbargruppe um etwas Ruhe, weil wir uns weiter unterhalten wollen. Es wird etwas leiser, bleibt aber vergleichsweise laut, weil die Kinder weiterhin während der Erklärungen der Betreuerin reden und lachen.

Abendessen. Meine Gruppe ist inzwischen abgereist (nicht wegen der Kinder, sondern planmäßig) und ich habe noch eine Nacht verlängert, weil ich noch mit dem Motorrad nach Holland möchte.

„Und täglich grüßt das Murmeltier…“, denke ich. Die Kinder kommen zum Abendessen schreiend, rufend und lachend hinein, die Betreuer hinterher. Dann versuchen sie wieder, an den jeweiligen Tischen ihren Gruppen Erklärungen zu geben und es fällt ihnen schwer, die nötige Lautstärke aufzubringen.

Nach dem Abendessen sind die Kinder mit zwei Betreuern wieder draußen im Garten und der Rest der Betreuer – alle geschätzt nicht älter als zwanzig Jahre – sitzt noch an einem Nachbartisch in meiner Nähe und ich schnappe ein paar Sätze ihres Gesprächs auf.

„Mann, ist das anstrengend.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm werden würde.“
„Bin froh, wenn es morgen vorbei ist, ich bin völlig fertig.“
„Das mache ich nie wieder – mit so einer Horde.“

Dann höre ich über Einzelne der „schwierigen“ Kinder noch ein paar Sätze und analysierende Aussagen. Ich werde beim Zuhören traurig und beschließe, mich einzumischen.

In einem etwa zwanzig minütigen Gespräch umreiße ich kurz das Modell der Gewaltfreien Kommunikation, nenne ein paar Beobachtungen, die ich gemacht habe und biete den jungen Leuten meine Idee an, wie sie die Situation vermutlich verändern können. Sie hören interessiert zu und stellen einige Fragen.

Nächster Tag, Frühstück. Die Kinder kommen schreiend, rufend und lachend in den Speisesaal gelaufen. Die Betreuer hinterher. Zu dritt stellen sie sich so hin, dass sie von allen Tischen aus gesehen werden können. Ich freue mich total darüber, dass sie dann ziemlich genau das anwenden, was ich ihnen abends vorgeschlagen habe.

Mittlerweile ist der Geräuschpegel so gesunken, dass ich während des Frühstücks an einem meiner Nachbartische folgenden Dialog unfreiwillig mitbekomme: „Was ist denn heute mit den Blagen los? Die haben ihnen wohl endlich ein Beruhigungsmittel verpasst.“

„Nee, die Betreuer machen das irgendwie anders heute. Die haben die Kurzen heute viel besser im Griff.“

„Wurde auch Zeit, dass sie die kleinen Biester endlich mal bändigen.“

Die Formulierungen gefallen mir nicht, aber ich mische mich ja nicht immer und überall ein. Ich feiere still, dass ich die Gewaltfreie Kommunikation kennengelernt habe und weiß: „Es gibt noch viel zu tun…“

Information: Kinder machen nichts falsch, wenn sie in Räumen, in denen andere Menschen Ruhe haben möchten, das zeigen, was in ihnen gerade lebendig ist. Und oft ist das eben schreien, rufen und lachen.

Es ist Aufgabe von Jugendbetreuern und Erziehern, sie auf die Bedürfnisse anderer Menschen aufmerksam zu machen und gemeinsam mit den Kindern Regeln zu vereinbaren. Und auch nach dem Prinzip „Anwendung von schützender Macht“, sich beharrlich dafür einzusetzen, dass die Bedürfnisse anderer gesehen und wenn möglich sogar gewahrt bleiben. Das können Kinder selbst noch nicht einschätzen, wenn wir Erwachsenen es nicht aufzeigen und nicht vorleben.

„Kinder brauchen Grenzen!“, hören wir manchmal von Erziehern und Eltern. Das sehen wir nicht so. Irgendwo haben wir mal diesen Satz aufgeschnappt, der uns gut gefällt: „Kinder brauchen keine Grenzen. Kinder brauchen Erwachsene, die ihre eigenen Grenzen geduldig und erkennbar aufzeigen.“

Kinder lernen Rücksicht, indem sie lernen, die Bedürfnisse der anderen zu „sehen“ und zu ahnen, wie es den Anderen geht, wenn deren Bedürfnisse nicht gewahrt sind. Genauso wie Erwachsene auch, sind Kinder in vielen Situationen bereit, einen Beitrag zu leisten, damit sich die Bedürfnisse anderer erfüllen können. Doch es bedarf ein wenig Zeit und Geduld, ihnen das beizubringen.

Und wir wissen aus Erfahrung, es braucht deutlich weniger Zeitaufwand, Kinder auf Gefühle und Bedürfnisse aufmerksam zu machen und ihnen das Konzept Gewaltfreier Kommunikation zu verdeutlichen, als ihnen das weit verbreitete Konzept von „richtig und falsch“ zu erklären und ihnen mithilfe von Strafe und Belohnung das Einhalten von Regeln beizubringen.

Wochenaufgabe: Nutzen Sie doch diese Woche einmal und überlegen Sie: Wie würden Sie die Jugendbetreuer ansprechen und ggf. auf hilfreiche Elemente aus der Gewaltfreien Kommunikation aufmerksam machen? (Die Formulierungen von Olaf Hartke finden Sie im kommenden Coachingbrief)

Aktuelles: Wenn Sie aus alten behindernden Handlungsmustern aussteigen möchte, dann kommen Sie zu unserem Einführungsseminar Gewaltfreie Kommunikation vom 19.-21. Oktober 2018 in Berlin. Beginnen Sie bewusster zu leben und lernen Sie, wie Sie schneller zu sich und anderen eine Verbindung aufbauen können.

Herausgeber: Hartke Unternehmensentwicklung GmbH
Dunlopstraße 9, 33689 Bielefeld
Fon: 05205 / 7290525 und Fax: 05205 / 7290527
© Copyright Anja Palitza

Ein Gedanke zu “355/2018 Wenn Kinder und Jugendbetreuer sich gegenseitig nicht hören

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