571 / 2022 Wertschätzendes Führen von Kindergruppen

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

von der Trainerin Jutta Büttner haben wir einen Erfahrungsbericht zum Thema „Wertschätzendes Führen von Kindergruppen“ erhalten.

Jutta Büttners Methode ermöglicht es, eine Gemeinschaft zu bilden, innerhalb derer sich Kinder und Jugendliche an gemeinsamen Werten orientieren und sie gibt einer solchen Gruppe den Titel „Ehrenclub“. Wir (Anja und Olaf) sind noch im Gespräch darüber, ob sich der gewählte Begriff und auch das methodisch vorgesehene Infragestellen der Zugehörigkeit zur Gruppe sich auch als ein „manipulatives Moralisieren“ interpretieren lässt. Der Austausch ist noch nicht abgeschlossen. 🙂

Unabhängig davon – wir arbeiten auch immer wieder mit Pädagogen und Lehrenden und hören in Trainings häufiger sinngemäß die Aussage: „Manchmal muss man halt auch strafende Konsequenzen aussprechen, sonst machen manche Kinder, was sie wollen.“

Das sehen wir nicht so und Jutta Büttner zeigt, dass es auch ohne geht. An ihrer Methode gefallen uns diese Aspekte besonders:

  • Die Methode kommt ohne strafende Konsequenzen aus,
  • sie verringert das Risiko von Machtkämpfen zwischen Kindern und Pädagogen und steigert damit die Kooperationswahrscheinlichkeit,
  • sie ermöglicht auf sehr einfache und alltagstaugliche Weise ein Anzeigen von Bedauern und ein Anzeigen der Bereitschaft, sich erneut an gemeinsamen Werten orientieren zu wollen.

Sie finden im Folgenden den gesamten uns zugesendeten Erfahrungsbericht, daher verzichten wir in dieser Ausgabe auf unsere gewohnte Struktur. Lassen Sie sich inspirieren und bei auftauchenden Fragen richten Sie diese gern an Frau Büttner.

Herzliche Grüße, heute von uns beiden aus Bad Berka

Anja Palitza & Olaf Hartke

Thema: Wertschätzendes Führen von Kindergruppen

Zitat: „Kannst Du aus der Rolle fallen, wirst Du aus der Falle rollen.“
(Ein neuer Seminartitel von Anja)

Wertschätzendes Führen von Kindergruppen– ein Erfahrungsbericht

Seit ich Gewaltfreie Kommunikation kenne, habe ich mir oft die Frage gestellt: Wie schaffe ich es, in der Haltung von Wertschätzung eine ganze Kindergruppe, eine Jugendgruppe, eine Jugendmannschaft oder eine Schulklasse zu führen?

„Aber ich sage nichts Schönes zu Dir.“ Nissan klettert vom Tisch. Ich habe sie daran erinnert, dass wir der Ehrenclub sind. Ehrenfrauen stehen nicht mit Schuhen auf dem Tisch. Es ist die sechste Stunde im SBBZ mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Die Konzentration ist raus. Die originellen Verhaltensweisen nehmen zu.

Nochmal wiederholt Nissan „Ich sage nichts Schönes“. Das ist für mich in Ordnung, da zwei weitere Zeichen zur Auswahl stehen, um zu zeigen, dass sie die Regel kennt und jetzt wieder einhalten will. „Klar. Und was suchst Du stattdessen aus?“ Unter dem Stöhnen einer sportlichen 9-jährigen lässt sie sich zu Boden gleiten und absolviert einen Liegestütz. Wir setzen uns. Maja liest den nächsten Satz.

Was ist passiert? Mein System der wertschätzenden Führung in Gruppen mit Kindern hat gewirkt. Doch wie bin ich da hingekommen und was ist dabei zu bedenken?

Als Grundvoraussetzung brauchte es von mir die ganz klare Entscheidung: Ich möchte ab jetzt wertschätzend führen.

Die Haltung von Wertschätzung bedeutet für mich, dass ich jede Person mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen wahrnehme. Das bedeutet, dass ich auf jede Person individuell eingehe und diese in ihren Bedürfnissen abhole.

Doch wie kann das gehen? Häufig hatte ich den Eindruck, dass dafür kaum Zeit ist. Vor allem dann, wenn man eine größere Gruppe zu führen hat und ein bestimmtes Ergebnis in einer festgelegten Zeit erreichen möchte. Denn in solchen Situationen braucht es insbesondere von den Gruppenmitgliedern die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, die Fähigkeit die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und das Verhalten zu Gunsten des Gruppenziels anzupassen.

Bei meinen anfänglichen Überlegungen war mir noch nicht klar: Wie kann ich denn nun wertschätzend Führen? Ich wusste eins: Das Führen über strafende Konsequenzen wollte ich nicht mehr nutzen. Für Pädagogen und auch Eltern ist es eine bekannte und vertraute Methode. Eine Regelverletzung führt zu einer Konsequenz. Bricht das Gegenüber erneut die Regel, bekommt es eine stärkere Konsequenz. Dahinter steht die Idee, dass Menschen über Schmerz lernen. Wir legen die Hand auf die Herdplatte. Heiß? Schwupp, die Hand wird zurückgezogen. Der Schmerz führt dazu, dass wir keine Hand mehr auf heiße Herdplatten legen. Ja, das stimmt so weit auch. Wir lernen durch Erfahrungen. Und gleichzeitig kann ich berichten, dass ich mich sehr wohl noch an heißen Töpfen verbrenne und Backbleche ungünstig einschätze. Vom Grill will ich gar nicht sprechen.

Was hier bei logischen, aufeinanderfolgenden Ereignissen geschieht, lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres auf die Führung von Menschen übertragen. Denn das Aussprechen von unangenehmen Konsequenzen und/oder die Steigerung von Konsequenzen – so nennen wir ja mittlerweile in der Pädagogik Strafmaßnahmen – führen in vielen Fällen nicht zu der gewünschten Veränderung von Verhaltensweisen. Stattdessen zeigt sich Widerstand, die Kooperationsbereitschaft sinkt und die Beziehungsqualität sowie das Vertrauen nehmen ab.

Ich liebe meine von mir entwickelte Alternative. Sie hat mir das Arbeiten mit verschiedensten Kindergruppen deutlich vereinfacht. Statt mich in Machtkämpfen zu verlieren, gelingt es mir jetzt deutlich leichter, in der Wertschätzung zu bleiben und aus dieser Haltung heraus zu führen.

Doch wie habe ich das geschafft? Wesentlich dafür war, meine eigene Sichtweise zu modulieren. Statt ein Verhalten verändern zu wollen, helfe ich nun, neue Gewohnheiten aufzubauen.

Im nächsten Schritt braucht es das Commitment der Gruppe für zwei bis drei wichtige Gruppenregeln. Ich hole die Gruppe dazu zusammen und verkünde, dass ich den Club der Ehrenmänner und Ehrenfrauen gründe. Jeder kann mitmachen. Ich erkläre den Sinn von Gruppenregeln und frage nach dem Nutzen von Regeln. Gemeinsam legen wir zwei oder drei prosoziale Regeln als Leitlinien fest z.B.: „Wir sind friedlich und fair. Wir sprechen schön. Wir gehen respektvoll miteinander um.“ Des Weiteren tauschen wir uns dazu aus, was es beispielsweise heißt, friedlich und fair zu sein.

Danach erkläre ich, dass es darum geht, diese Leitlinien einzuhalten. Ich mache mir bewusst: Das kann überhaupt nicht sofort und immer klappen. Das ist ein Prozess. Manchmal vergisst eine Person die vereinbarte Leitlinie. Das kann vorkommen. Wenn das so sein sollte, hilft ein Zeichen, dass mir und der Gruppe signalisiert, dass diese wieder mitmachen will. Das sind ganz kleine Zeichen, die wenig aufwändig sind und geringen Einsatz erfordern.

Hilfreich ist, dass ich es nicht persönlich nehme oder eine bösartige Absicht unterstelle, wenn vereinbarte Leitlinien nicht eingehalten werden. Meine von mir angenommenen Begründungen für eine Nichteinhaltung: Die Leitlinie ist noch ungewohnt oder noch nicht genug geübt. Über weitere Gründe denke ich nicht nach. Wird eine Leitlinie nicht eingehalten, dann geht es darum, uns gegenseitig an diese zu erinnern und die persönlich zu Beginn gegebene Zustimmung zu den Leitlinien zu erneuern.

Um sichtbar zu machen, dass man wieder mitmacht und grundsätzlich die Leitlinie akzeptiert, erledigt man eine kleine symbolische Handlung. Diese kleinen Zeichen werden gleichfalls zusammen in der Gruppe entwickelt.

Die in meinen Gruppen entwickelten Zeichen waren z.B.:

•        Zieh leicht an Deinem Ohrläppchen

•        Schiebe den Stuhl kurz vom Tisch zurück

•        Gib jemanden ein Kompliment

•        Mache einen Liegestütz

Die kleinen Zeichen dürfen gerne lustig sein. Lachen entspannt die Situation. Etwas mit Bewegung ist auch gut geeignet. Das bringt dem Gehirn einen anderen Reiz.

Meine Kinder lieben Liegestütz. Wichtig ist, dass jede Person den kleinen Zeichen grundsätzlich zustimmt. Ich bin Teil der Gruppe. Daher gibt es mit mir keinen einarmigen Liegestütz und auch dem Vorsingen eines Liedes kann ich nicht zustimmen. Das mache ich nämlich auf keinen Fall. Und es wäre nicht „klein“ genug. Es ist wichtig, dass es danach sofort weitergehen kann und die Aufmerksamkeit der Gruppe nicht groß bindet.

Da es mindestens drei kleine Zeichen gibt, besteht immer eine Auswahl. Eine Selbstbestimmung ist hilfreich. Jede Person kann aus den gesammelten Zeichen selbst aussuchen.

Manchmal wird das Zeichen von den Kindern/Jugendlichen schnell gegeben. Selten gibt es den Versuch einer Diskussion. Dann heißt es klar bleiben. Ich zeige mit meiner Hand drei Finger und wiederhole nur den Satz: „Was suchst Du aus?“ oder „Komm schon, such aus, dann können wir weiter machen.“ Es gibt keine grundsätzlichen Diskussionen. Keine Frage nach der Schwere der Schuld. Und keine Entschuldigungen.

Ich bin immer wieder begeistert, denn dieser Ablauf erzeugt Vertrauen. Es ist gleichgültig, was genau der Regelverstoß war. Ob Füße auf den Tisch oder anspucken. Mit der Frage: „Was suchst Du aus?“, ist in den meisten Fällen auch das Bedürfnis des mitbeteiligten Kindes nach Gerechtigkeit erledigt.

Ja, es braucht am Anfang Energie und Zeit für die Einführung, danach erleichtert es den Alltag ungemein. Nach einer Testphase, ob ich wirklich nach einem Regelverstoß einfach weiter mache, auf ein Moralisieren verzichte und neutral bleibe, möchte jeder Teil des Ehrenclubs sein.

Hier in aller Kürze nochmal mein Vorgehen:

• Erklärt, dass ihr Regeln braucht.

• Nennt es den Ehrenclub.

• Notiert möglichst allgemeine prosoziale Regeln.

• Entwickelt mindestens drei kleine Zeichen.

• Lasst alle unterschreiben.

• Bei einer Übertretung der Leitlinien: Erinnert an die Regeln. Holt ein Zeichen ein.

• Überprüft nach 8 Wochen oder wenn neue Personen in die Gruppe kommen, ob die Leitlinien und Zeichen noch für alle passen.

Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen:

„Hast Du es in der Praxis umgesetzt?“

Ja. In einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Und in einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung.

„Haben immer alle mitgemacht in der Schule?“

Nein. Das ist auch nicht zwangsläufig notwendig. Die Schülerinnen und Schüler können umschalten. Sie schätzen die Klarheit.

„Gelten die Regel auch für Dich?“

Ja, klar. Besonders am Anfang ist es wichtig, auch Fehler zuzugeben und dann unter lautem Lachen einen Liegestütz versuchen.

„Was mache ich, wenn ein Schüler oder eine Schülerin absolut keines der kleinen Zeichen geben möchte?“

Führen besteht aus Kontakt, Timing und Position. Ich probiere dann folgende Möglichkeiten: Ich verringere den Abstand zwischen mir und der Person, ohne dieser direkt und zu nah gegenüberzustehen. Ich versuche einen zweiten Sinneskanal dazu zu nehmen, indem ich 3 Finger zeige. Ich wiederhole nur den einen Satz „Was suchst Du aus?“. Ich erlaube Mitbestimmung. „Ich mache es nach der Pause in der Klasse, wenn alle schauen.“ Es ist kein Machtkampf. Wenn der andere einräumt, dass es die ausgemachten Leitlinien gibt und diese anerkennt, braucht es nicht zwangsläufig ein Zeichen. Diese scheinbare Inkonsequenz hat keinen Nachteil für die Gruppe – fördert jedoch die Beziehung.

Ich bin neugierig, wie Sie darüber denken und bin offen für einen Austausch oder Fragen dazu. Schreiben Sie mir gerne eine E-Mail an: info@jutta-buettner.de

Aktuelles

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Seminare 2022
27.11.2022  Bildungsurlaub „Einführung GfK“ auf Spiekeroog (5 Tage)
12.12.2022  Vertiefung „Gewaltfreie Kommunikation“ Jugendberufshilfe in Erfurt (2 Tage)
16.12.2022  Vertiefung „Gewaltfreie Kommunikation“ im Kloster Hünfeld (3 Tage) (Warteliste)


Weitere Seminare 2023
06.01.2023  Wandeltage 2023 Online – Jahresausbildung GFK (6 Module á 3 Tage)
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08.02.2023  Systemisches Konsensieren (Seminar zu Gruppenentscheidungen auf Augenhöhe)
14.02.2023  Trainer(Innen)-Ausbildung Präsenz
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26.02.2023  Schneeschuh-Tour zur Hohgant-Hütte nur für Paare (Warteliste)
16.04.2023  Bildungsurlaub „Einführung GfK“ auf Baltrum (5 Tage
06.05.2023  Wandeltage 2023 Präsenz –(6 Module à 3 Tage))
22.05.2023  Bildungsurlaub „Einführung GfK“ in Dießen am Ammersee (5 Tage)
15.10.2023  Ein Führungskräftetraining auf Basis GfK auf Baltrum (5 Tage)
23.10.2023  Bildungsurlaub „Einführung GfK“ auf Spiekeroog (5 Tage)
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