Liebe Leserinnen, liebe Leser,
im Januar 2017 machte die Trump-Beraterin Kellyanne Conway Schlagzeilen mit dem Begriff „alternative Fakten“. Ein Freund las am Wochenende einen Artikel, in dem unter anderem stand, dass Wissenschaftler nun tatsächlich die Frage diskutieren, ob es möglicherweise tatsächlich nicht „die Realität“ gäbe, sondern „alternative Fakten“ tatsächlich möglich seien.
Im Gespräch darüber fragte er mich, wie denn gewaltfrei ausgedrückt werden könne, dass ein anderer ganz offensichtlich lügt.
Herzliche Grüße aus Jena und Bielefeld
Anja Palitza & Olaf Hartke
Thema: Alternative Fakten oder Lügen
Zitat: Über „alternative Fakten“ philosophierte bereits Dieter Hildebrandt:
„Das ist keine Lüge, sondern sachzwangreduzierte Ehrlichkeit.“
Beispiel: Der Abteilungsleiter sieht zufällig auf der Überstundenliste einen Eintrag von Herrn Müller, der besagt, dass Herr Müller am gestrigen Abend bis 20 Uhr im Büro war. Der Abteilungsleiter wundert sich, denn als er um 19 Uhr ging, war das Gebäude komplett verdunkelt und der Parkplatz war ebenfalls leer.
Er spricht Herrn Müller darauf an und dieser antwortet:
„Oh. Ja, das ist so: Ich habe in der letzten Oktoberwoche vier Überstunden gemacht und vergessen, sie aufzuschreiben. Da inzwischen die November-Liste ausliegt, habe ich die Stunden dort für gestern Abend eingetragen.“
Der Abteilungsleiter wundert sich, denn es ist grad wenig zu tun und er fragt die beiden Kollegen des Herrn Müller, ob dieser in der vergangenen Woche an irgendeinem Abend länger geblieben sei. Beide erklären, dass Herr Müller, wie sie selbst auch, jeden Tag pünktlich gegangen sei.
Der Abteilungsleiter überlegt: „Sage ich nichts und es ist gelogen, dann trägt er sich vielleicht demnächst öfter Überstunden ein, die er gar nicht gemacht hat. Sage ich etwas und er hat die Überstunden tatsächlich geleistet, dann tue ich ihm Unrecht.“
Information: Ob uns ein anderer Mensch eine Lüge auftischt oder ob es sich um die Wahrheit handelt, ist objektiv manchmal nicht zu klären. Im obigen Beispiel müsste man selbst schon an jedem Abend der Vorwoche im Büro gewesen sein, um Klarheit über Herrn Müllers Feierabend-Zeiten zu haben. Hat man dies selbst nicht beobachtet, kann man sich nur auf Aussagen anderer berufen, spekulieren oder weitere Hinweise interpretieren.
Manchmal kann es jedoch für einen selbst wichtig sein, den anderen darüber zu informieren, dass man an seiner Aussage zweifelt. Und Menschen fragen sich dann häufig, wie man das ausdrücke kann, ohne dem anderen eine Lüge zu unterstellen.
Die Aufrichtigkeit in vier Schritten bietet sich auch hier an, um den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen.
Beobachtung – Auf welche für alle Beteiligten wahrnehmbaren Fakten stütze ich meine Aussage?
Gefühl – Wie geht es mir mit diesen Fakten?
Bedürfnis – Was ist mir wichtig?
Bitte – Was möchte ich erreichen?
Zum „Sofort-Üben“: Welche auf den ersten Blick „konkurrierenden“ Bedürfnisse hat der Abteilungsleiter möglicherweise? Wie könnte er seinen Zweifel an Herrn Müllers Überstunden zum Ausdruck bringen?
(Unseren Vorschlag dazu finden Sie am Ende des Coachingbriefes)
Wochenaufgabe: Sprechen Sie die Situationen an, in denen Sie den Eindruck haben, dass gerade „alternative Fakten“ auf dem Tisch liegen.
Aktuelles: Kommen Sie zum 3. Erfurter GFK-Tag unter dem Motto „Macht miteinander“. Der Hirnforscher Gerald Hüther stellt dort die Frage „Wozu brauchen Menschen Macht“. Weitere spannende Themen und Workshops erwarten Sie am 18.11.2017 in Erfurt.
http://www.gfk-info.de/seminar/3-erfurter-gfk-tag-motto-macht-miteinander/
Herausgeber:
Hartke Unternehmensentwicklung GmbH
Dunlopstraße 9, 33689 Bielefeld
Fon: 05205 / 7290525 und Fax: 05205 / 7290527
© Copyright Anja Palitza, Olaf Hartke
Unser Vorschlag:
Dem Abteilungsleiter ist vielleicht wichtig zu verdeutlichen, dass er Zweifel an den Überstunden hat (Aufrichtigkeit, Klarheit).
Gleichzeitig möchte er den Mitarbeiter fair behandeln (Fairness, Gerechtigkeit).
So könnte er die Situation ansprechen:
„Herr Müller, Sie sagten mir vorhin, dass Sie die Überstunden von gestern Abend bereits in der letzten Woche gemacht haben; erinnern Sie sich?
(Beobachtung 1; gemeinsame Realität schaffen)
Da zurzeit sehr wenig zu tun ist (Beobachtung),
war ich verwundert (Gefühl)
und habe gerade mit Fischer und Schulze über die Feierabendzeiten in der letzten Woche gesprochen.
(Information für Herrn Müller). [Vorher bei den Kollegen versucht, das Bedürfnis nach Klarheit zu erfüllen.]
Beide sagten, dass sie alle drei in der letzten Woche pünktlich Feierabend gemacht hätten. (Beobachtung 2)
Nun bin ich etwas irritiert und gleichzeitig auch neugierig.
(Gefühl)
Wenn ich Informationen bekomme, die nicht zueinander passen, dann möchte ich gern wissen, wie es zusammenpasst.
(Bedürfnis nach Klarheit)
Können Sie mir bitte sagen, wann genau Sie die Überstunden gemacht haben? Und aus welchem Grund das nötig war?“
(Handlungsbitte)
Dies könnte das Bedürfnis nach Klarheit erfüllen. Falls Herr Müller eine gute Erklärung für die unbemerkten Überstunden hat, könnte der Abteilungsleiter mit weiterer Aufrichtigkeit seine Gründe für die Frage offenlegen.
Herr Müller: „Unser Kunde XY rief kurz vor Feierabend noch an und sagte, er benötige die Statikberechnung ganz ungeplant plötzlich sofort, am nächsten Tag. Er hatte vergessen, uns Bescheid zu sagen. Da ich meinen Sohn abholen musste, konnte ich nicht länger bleiben. Ich habe die Bauakten mit nach Hause genommen, die Berechnung abends fertiggestellt und ihm von zu Hause aus noch gemailt. Hier, ich zeig´s Ihnen…“
Abteilungsleiter: „Hui, Herr Müller, Danke für die Aufklärung. Wenn Sie mir das sagen, passiert zweierlei. Erstmal bin ich froh, dass ich die Sache angesprochen habe und ich nun eine Erklärung habe; wie gesagt, ich trage nicht gern Zweifel mit mir herum.
(Dankbarkeit, Beobachtung, Gefühl, erfülltes Bedürfnis)
Zum anderen möchte ich klarstellen, dass ich Ihnen keine unlauteren Absichten unterstellen wollte. Mir war nur nicht klar, wie die mir vorliegenden Informationen zusammenpassen sollten.
(Beobachtung)
Mir ist ein ehrliches und gleichzeitig auch ein aufrichtiges Miteinander wichtig.
(Bedürfnis)
Manchmal frage ich Dinge nach, um sie besser zu verstehen.
(Nennung der Strategie zu Verdeutlichung)
Das trägt aus meiner Sicht auch zu einem tieferen Vertrauen bei.
(weiteres Bedürfnis)
Wie ist das für Sie?“
(Beziehungsbitte; Bedürfnis nach Klarheit über das Verständnis des Gegenübers, Interesse an seinen Gefühlen und Bedürfnissen)