174/2015 Moralistisch urteilen oder bewerten auf Basis von Bedürfnissen

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

hier ist der aktuelle Coachingbrief für diese Woche.

Herzliche Grüße aus Jena und Bielefeld

Anja Palitza & Olaf Hartke

Thema: Moralistisch urteilen oder bewerten auf Basis von Bedürfnissen?

Zitat: „ Interpretationen, Kritik, Diagnosen und Urteile über andere Menschen sind im Grunde ein verfremdeter Ausdruck unserer eigenen unerfüllten Bedürfnisse.“ (Marshall B. Rosenberg)

Beispiel: Wir sitzen vor einem Café am Rheinufer in Düsseldorf und genießen die warme Frühlingssonne. Eine Mutter setzt sich mit ihrem etwa siebenjährigen Sohn an den Nachbartisch. Sie ergreift ihr Handy, tippt und liest auf dem Handy und behielt es während der gesamten Zeit im Cafe in der Hand. Folgender Dialog entspann sich in Auszügen zwischen Mutter und Sohn:

Mutter: „Du setzt Dich da hin.“

Kind erzählt etwas und lacht.
„Sei nicht so laut, hier sind noch andere Leute.“
Kind erzählt weiter.
„Wenn Du nicht aufhörst, stellst Du Dich da vorne an die Mauer und wartest, bis ich fertig bin.“

„Füße stillhalten.“

Kind: „Mama, was ist Weinschorle?“

Mutter: „Das ist nur für Erwachsene.“

Kind: „Ich möchte aber lieber ein Eis.“

Mutter: „Eis gibt es noch nicht, dafür ist es noch zu kalt.“

Eine frisch gebackene Waffel wird serviert.

„Iss ordentlich.“

„Das ist noch so heiß.“

 Das ist nicht heiß, iss jetzt.“

Kind erzählt wieder etwas.

„Sei nicht so laut.“

Kind: „Da oben auf der Mauer sitzt einer.“

Mutter: „Wenn er da runter fällt, ist er selber schuld.“

„Du kleckerst schon wieder, pass doch mal auf.“

Kind: „Das ist lecker Zuckerguss.“

Mutter: „Das ist Puderzucker.“

Kind: „Aber das schmeckt süß.“

Keine Antwort.

„Mama, das schmeckt süß.“

„Hör jetzt auf damit.“

Kind stellt sich hin.

„Bleib da sitzen.“

„Aber ich bin fertig.“

„Du sollst da sitzen bleiben, sonst warst Du das letzte Mal mit.“

„Mir ist langweilig, ich will nach Hause.“

„Ich bin noch nicht fertig. Sei jetzt endlich still.“

„Lecker Zuckerguss.“

„Puderzucker!“

Kind bewegt die Beine.

„Hör auf, mich zu treten.“

Kind stellt sich wieder hin.

„Wenn Du jetzt nicht sitzen bleibst, gehen wir sofort nach Hause.“

„Au ja.“

„Das könnte Dir so passen, sei jetzt still.“

Kind legt seine Hand auf Mamas Arm.

„Nimm die Klebefinger da weg.“

„Können wir jetzt gehen?“

„Nein.“

„Mir ist langweilig.“

„Du sollst jetzt endlich still sein. Und bleib sitzen.“

Information: In der gewaltfreien Kommunikation wird unterschieden zwischen Stimulus und Ursache. Die Beobachtungen, alles was von außen kommt und über die Sinne aufgenommen wird ist ein Stimulus. Unsere Reaktionen darauf (Gedanken, Gefühle, Verhalten) sind abhängig von eigenen Bedürfnissen und werden von diesen verursacht. Das heißt, das Verhalten anderer kann ein Stimulus, ein Auslöser für unsere Reaktion sein, jedoch liegt die Ursache in uns – in unseren Bedürfnissen.

Auch unsere Gedanken können ein Stimulus oder Auslöser sein. Ein Stimulus von innen, der womöglich Beurteilungen, Bewertungen, „Soll- und Mussvorstellungen“ enthält. Wir denken z.B., dass das Verhalten einer Person rücksichtslos ist und das kann Gefühle wie Entrüstung, Wut oder Enttäuschung auslösen, die wiederum ihre Ursache in einem unerfüllten Bedürfnis haben.

Das was die Stimuli in Menschen auslösen, hat immer etwas mit dieser Person selbst zu tun. Hier ein fiktives Beispiel. Ich stehe einem Menschen gegenüber und sehe in sein Gesicht. Mir fällt blondes Haar auf, was in Wellen über die Schulter fällt. Folgende Gedanken kommen: „Das sieht unmännlich aus. Unattraktiv. Viel zu weich und mädchenhaft. Mein Partner sollte nie langes Haar tragen wollen.“ Was hat dies mit mir zu tun? Mein Leben kommt mir gerade sehr unsicher vor und ich sehne mich nach Schutz und Geborgenheit und versuche diese Bedürfnisse auch über eine entsprechende Wahl in der Partnerschaft stillen.

Wir beurteilen ständig von der ausgehenden Moral unserer Kultur. Was angebracht ist und was nicht. Was richtig und was falsch ist. Was gut und was schlecht ist. Was normal und was unnormal ist. Diese Beurteilungen begünstigen, dass wir andere bevormunden und über ihr Verhalten moralisieren. Doch wir können auch die eigenen Bedürfnisse als Bewertungskriterium heran ziehen und uns überlegen: Was hat der Stimulus mit mir zu tun? Erfüllt, das was ich gerade beobachte eigene Bedürfnisse oder nicht? Und was kann ich tun, damit sich diese Bedürfnisse erfüllen können?

Zum „Sofort-Üben“: Welche Gedanken tauchen bei Ihnen auf, wenn Sie das Beispiel lesen? Gibt es Bewertungen, hinsichtlich der Mutter, dem Jungen und der Beziehung zwischen beiden? Wenn ja, was hat das mit Ihnen zu tun? Und welche Bedürfnisse sind damit verbunden? (Unseren Vorschlag finden Sie am Ende der Mail.)

Wochenaufgabe: Wenn Sie in dieser Woche Bewertungen, Abwertungen und Urteile in sich entdecken, dann halten Sie kurz inne und fragen sich an dieser Stelle: Was hat das mit mir zu tun? Auf was macht es mich aufmerksam? Was ist mir in meinem Leben wichtig? Gibt es diesbezüglich unerfüllte Bedürfnisse? Und was könnte ich tun, damit sie genährt werden?

Aktuelles: Zum Welttag des Buches am 23. April hat sich der Junfermann Verlag etwas ausgedacht und Frau Carstensen vom Verlag hat uns dazu mit folgender Email überrascht: „Liebe Frau Palitza, lieber Herr Hartke, wir beteiligen uns auch in diesem Jahr mit unserem Verlagsblog an der Aktion „Blogger schenken Lesefreude“. Das Schenken ist hier wörtlich zu nehmen, denn es werden Bücher verlost. In diesem Jahr haben wir uns entschieden, Ihr Buch für die Aktion ins Rennen zu schicken…“

Vielleicht haben Sie Lust teilzunehmen:

http://blogweise.junfermann.de/2015/03/16/das-ganze-universum-in-einem-zitat/

Herausgeber:
Hartke Unternehmensentwicklung GmbH
Dunlopstraße 9, 33689 Bielefeld
Fon: 05205 / 7290525 und Fax: 05205 / 7290527
© Copyright Anja Palitza und Olaf Hartke

Unser Vorschlag: Folgende Gedanken tauchen bei mir (Anja) auf: „Der arme Junge. Die Mutter müsste doch mal mehr zuhören. Wieso interessiert sie sich nicht für das Kind? Sie sollte ihn auch nicht immer ermahnen. Er ist doch noch ein Kind und von ihr abhängig. Er will es doch auch schön haben. Das ist keine liebevolle Beziehung. Aber das Kind ist auch anstrengend. Immer fragt es etwas. Es sollte auch einmal still sein können.“

Was hat das mit mir zu tun? „Ich habe Sehnsucht nach einem Miteinander und nach Verbindung, das sich ausdrückt über Zuhören, einem Anschauen mit einem Lächeln, einem Ausdruck der Freude, dass der andere seine Zeit mit mir teilt. Als Kind und auch heute noch habe ich große Sehnsucht danach. Und meine Gedanken verstärken noch diese Sehnsucht, da ich mich in dem Kind selber sehe. Hier ist das Bedürfnis nach Bedauern und Selbstfürsorge wachgerufen worden. Und gleichzeitig spüre ich bei meinen Bewertungen über das Kind meine eigene Erschöpfung. In mir ist zudem noch ein Wunsch nach Ruhe und Stille.

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