Liebe Leserin und lieber Leser,
vorletzte Woche besuchte ich (Olaf) ein internationales Treffen von Fahrern von italienischen Motorrädern der Marke Moto Guzzi – kurz, ein Guzzi-Treffen. Genauer das „Guzzi Quota-Treffen“; wir fahren alle das gleiche Modell oder Nachfolger dieses geländegängigen Reise-Motorrades. Das Treffen fand im Herzen der belgischen Ardennen statt. Touristisch gesehen, ein absolut reizvolles Fleckchen Erde – auch für Motorradfahrer. Doch ich habe lange überlegt, ob ich teilnehme.
Im Alter von 20-25 Jahren bin ich auf meinem regelmäßigen Weg von Bielefeld nach Paris oft an den Ardennen vorbeigefahren und auf der Autobahn zwischen Aachen und Liège (Lüttich) habe ich jedes Mal nach links geschaut und die Erhebungen und Hügel der Ardennen mal im Sonnenlicht, mal im Nebel und andere Male im Morgengrauen oder im Abendrot wahrgenommen.
Dabei empfand ich wiederholt den Reiz, einen Abstecher auf dem Weg nach Paris einzubauen und hineinzufahren in diese malerisch anmutende Gegend, um mich umzuschauen, um sie zu entdecken. Niemals habe ich es getan.
Immer habe ich einen Bogen um diesen Landstrich gemacht, der mit deutscher Kriegsgeschichte in enger Verbindung steht. Die Nähe zu den Ardennen bedeutete für mich immer ein Schaudern, eine diffuse Angst vor einer Landschaft, die ich in Verbindung brachte mit Geschichten und Erinnerungen, die ich in meiner Kindheit hörte.
Als Kind war ich oft bei meinen Großeltern und Opa erzählte zwar wenig vom Krieg, doch wenn er erzählte, dann nahm ich oft die Tränen in seinen Augen wahr. Seine zwei Brüder fielen im Krieg. Der andere Opa war selbst im Krieg und mehrere Jahre in Kriegsgefangenschaft. Er sprach niemals darüber. Mein Patenonkel war im Krieg; verlor an der Schulter seinen rechten Arm und litt lebenslänglich an den verbliebenen Granatsplittern im Körper. Nie vergessen werde ich den Moment, als ich ihn im Wasser des Freibadbeckens zum ersten Mal ohne die Armprothese sah und auf den kurzen Knochen- und Hautstummel an der Schulter starrte. Er nahm den erschreckten Blick meiner Kinderaugen vermutlich wahr und sagte: „Das ist gar nicht so schlimm. Schau mal, wie prima ich damit im Kreis schwimmen kann.“
Diese Menschen brachten dem kleinen Olaf trotz weniger Worte sehr glaubhaft nah, was Krieg bedeutet.
Sehr eindrucksvoll ergänzt wurden meine Ideen vom Krieg dann, als ich als Jugendlicher das Buch „Im Westen nichts Neues“, von Erich-Maria Remarque las. Die bilderreiche Schreibkunst des Autors erzeugte grausige Vorstellungen in mir – Bilder von Krieg und Zerstörung, Bilder von Verletzten, Sterbenden und Toten, die mich damals erschreckten und ängstigten.
Die ausführlichen Schilderungen Remarques in Verbindung mit Opas Erinnerungen an zwei Weltkriege auf deutschem Gebiet prägten in mir die Überzeugung, dass Kriege zum Schlimmsten gehören, was Menschen erleben können. Und sie verdeutlichten mir – das kann hier passieren, das kann mir passieren. Der Krieg während meiner Kindheit und Jugend wurde zwar als „Kalter Krieg“ geführt und die atomare Aufrüstung sollte unsere Sicherheit garantieren, doch die Nachrichten hinterließen mich damals oft unsicher und ängstlich. Und mein Schrecken davor war eng verknüpft mit der belgisch-deutschen Landschaft hinter Aachen.
In diesem Sommer – etwa 40 Jahre nachdem ich „die Ardennen“ mit unauslöschlichen Gedanken und Bildern an schreckliche Kriegsgeschehnisse verband – stand eine Entscheidung an: Mitten hinein in diese Region, die ich immer mied oder eine Lücke in meiner Geschichte der alljährlichen Quota-Treffen hinnehmen?
Ich habe mich entschieden hinzufahren. Habe mich lange durch Filme, Dokumentationen und Lektüre vorbereitet, den Verlauf der Ardennen-Schlacht studiert, Orte gegoogelt, Kriegsmahnmale, Soldatengräber und Friedhöfe recherchiert. Das Internet macht’s heute leicht möglich. Meine ausgewählten Punkte finden Sie bei Interesse hier:
„Auf geht’s…,“ war mein Motto, „…mit Freunden unterwegs, um Freunde zu treffen und danach eine Landschaft erkunden, die mit meiner Familiengeschichte und dunklen, nebelhaften Bildern aus meiner Jugend verknüpft ist.
Herzliche, heute recht stille und nachdenkliche Grüße von uns beiden aus dem verwunschenen Garten bei Jena
Anja Palitza & Olaf Hartke
Zitate: Aus dem Buch „Im Westen nichts Neues“; von Erich Maria Remarque
„Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist.”
„Der Morgen ist grau. Es war noch Sommer, als wir hinausgingen, und wir waren 150 Mann. Jetzt friert uns, es ist Herbst. Die Blätter rascheln, die Stimmen flattern müde auf: „Eins – zwei – drei – vier -„, und bei zweiunddreißig schweigen sie. Und es schweigt lange, ehe die Stimme fragt: „Noch jemand?“ – und wartet und dann leise sagt: „In Gruppen -“ und dann abbricht und nur vollenden kann: „Zweite Kompanie -“ mühselig: „Zweite Kompanie – ohne Tritt marsch!“
Eine Reihe, eine inzwischen kurze Reihe tappt in den Morgen hinaus. Zweiunddreißig Mann.“
„Jetzt sehe ich erst, dass du ein Mensch bist wie ich. Ich habe gedacht an deine Handgranaten, an dein Bajonett und deine Waffen – jetzt sehe ich deine Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame vor mir. Vergib mir, Kamerad! Wir sehen es immer zu spät. Warum sagt man uns nicht immer wieder, dass ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, dass eure Mütter sich ebenso ängstigen wie unsere und dass wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz –. Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein? Wenn wir diese Waffen und diese Uniform fortwerfen, könntest du ebenso mein Bruder sein wie Kat und Albert. Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe auf – nimm ruhig mehr, denn ich weiß eh nicht, was ich damit noch beginnen soll.“
Beispiel: Im 2. Weltkrieg starben allein 5,5 Millionen deutsche Soldaten. Etwa 100.000 davon in Belgien während der 5-wöchigen Ardennen-Offensive in den letzten Kriegsmonaten. Sie liegen auf den deutschen Soldaten-Friedhöfen in der Umgebung.
Ich stehe auf dem Soldatenfriedhof Recogne, nahe der in der Ardennen-Schlacht lange umkämpften Stadt Bastogne (Bastnach). Hier wurden 1945 genau 6.807 deutsche Soldaten begraben. Mein Blick schweift über die Grab-Kreuze. Sie stehen im Abstand von einem Meter, in Reihen von zwei Metern Abstand. Auf jedem Kreuz stehen sechs Namen. Oft nur „unbekannter deutscher Soldat“. Die meisten der hier begrabenen Soldaten wurden nur 16 bis 20 Jahre alt. Auf zwei Quadratmetern je sechs Tote.
Und wie schon mehrfach in den letzten Tagen tauchen auch die Erinnerungen aus meinen Jugendtagen wieder auf. Die Geräusche, die Opa beschrieb. Das Heulen der Sirenen, das die Menschen in die Luftschutzbunker trieb. Das Brummen der Motoren von nahenden Flugzeugen. Das dumpfe Donnern von detonierenden Bomben. Die fernen, aber doch irgendwie bedrohlich nah wirkenden Schüsse des Artillerie- und Maschinengewehrfeuers auf dem Schlachtfeld.
Auch die Bilder aus Remarques Kriegsschilderungen sehe ich wieder vor meinem geistigen Auge. Verwundete, Sterbende, Tote. Soldaten und Zivilisten. Darunter Kinder. Junge Menschen, gerade dem Kindesalter entwachsen. Deren Leben erst am Beginn seiner Entfaltung stand.
Mein Sohn ist im Frühling 16 Jahre alt geworden. Manchmal sehe ich in ihm noch das spielende Kind, das er mal war. Meistens den jugendlichen Entdecker, manchmal schon den verantwortungsvollen Erwachsenen. Das er mal eine Waffe in die Hand nimmt und irgendwo fern der Heimat in einem Kampf gegen eine andere Nation durch Gewehrkugeln oder Bombensplitter stirbt – ein schrecklicher Gedanke, unfassbar.
Hier stehe ich nun und es ist nicht wie erwartet Trauer, die mich überwältigt. Die kommt erst später, heute beim Schreiben. Auf dem Friedhof stehend ist es ein Erschrecken vor dem Leid, das Kriege mit sich bringen. Ein Grauen vor dem Ausmaß des Leids, das betroffene Menschen erfahren. Meine vier Großeltern sogar in zwei Weltkriegen. Als Jugendliche und dann nochmal als Erwachsene mit eigenen Kindern. Ich denke an meine Eltern im Alter von vier und sieben Jahren bei Kriegsende. Auch eine Empörung spüre ich, eine stille Wut. Auf die Menschen, die das verantwortet haben. Wie konnte man es so weit kommen lassen?
Ein Gandhi-Zitat geht mir durch den Kopf und der Gedanke daran begleitet mich auf meiner weiteren Reise durch deutsche Geschichte auf belgischem Boden: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“
Ja, da ist sie wieder. Die in vielen Menschen zu entdeckende Gier nach immer mehr. Mehr Dinge, von denen ich denke, dass man sie nicht braucht. Darunter viele Dinge, die zu Anerkennung führen sollen, zu Wertschätzung und Liebe. Und Dinge, die dem Leben Sinn geben sollen.
Szenenwechsel. Eine Woche ist vergangen und ich sitze schreibend am Laptop im verwunschenen Garten bei Jena. Nach Schrecken und Empörung kommt nun doch noch die Traurigkeit. Sie vergeht langsam während des stockenden und unterbrochenen Schreibens dieser Zeilen gestern und heute. Ich denke an Marshall Rosenberg. Mit Tränen in den Augen sagte er während eines Spaziergangs mit Anja und mir: „Frieden ist doch machbar. Wieso dauert das nur so verdammt-sch… lange?“
Ein bekannteres Zitat von ihm geht mir durch den Kopf: „Richten wir unsere Aufmerksamkeit lieber auf das, was wir tun wollen, und nicht auf das, was schief gelaufen ist.“
Überzeugtheit nimmt inneren Gefühlsraum in mir ein. Klarheit breitet sich aus. Sicherheit in Bezug auf meine zweite Berufswahl. Mir wird wieder bewusst – ich arbeite nicht mehr für Wohlstand, Luxus oder Bequemlichkeit. Ich arbeite gar nicht mehr. Ich bin tätig, ich setze mich ein. Dafür, dass Menschen entdecken, dass Sinn, Anerkennung, Wertschätzung und Liebe nicht nur über materielle Werte erreichbar sind. Dass diese Strategien – zumindest nach meinen Wertmaßstäben – immer noch tragische Irrtümer in der westlichen, zivilisierten Welt sind. Mir ist wichtig, dass Menschen andere Strategien kennenlernen, andere Erfahrungen machen, die aus meiner Sicht mehr mit „Menschlichkeit“ zu tun haben.
Unsere Wochenenden 2022 sind bereits vollständig geplant. Für 2023 werde ich gleich mit Anja überlegen, wie wir uns noch wirksamer engagieren können, dass möglichst viele friedvolle Menschen unterwegs sind und unsere Sicherheit und die Zukunft unserer Kinder beschützen.
Information: Ich glaube, das Wesentliche steckt bereits im Beispiel und ich fasse mich kurz:
Wenn man die Anzahl der Kriegstoten als Messindikator heranzieht, leben wir zwar in den friedvollsten Zeiten der Menschheitsgeschichte. Doch immer noch sterben im Durchschnitt der letzten 10 Jahre weltweit jährlich 182.000 Menschen in Kriegshandlungen. (Angabe in „Die Ohnmacht der UNO“, 2019).
Vergleicht man die Lebensumstände und die Lebensqualität der Menschen in den westlichen Industrienationen mit denen der Menschen in ärmeren Ländern, wird man als „menschlich orientierter Mensch“ ebenfalls sehen, dass wir uns als „Weltgesellschaft“ noch weiterentwickeln können.
Nach unserer Überzeugung kann die Verbreitung des Modells „Gewaltfreie Kommunikation“ einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung leisten. Menschen, die sich damit beschäftigen, nehmen wieder Kontakt mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen auf, werden achtsamer im Umgang mit sich selbst und anderen gleichermaßen. Wir nehmen sie als friedvoller wahr und sähen sie gern als verantwortungsbewusste, verantwortungsbereite, aktive und wirksame Gestalter unserer gemeinsamen Zukunft.
Wochenaufgabe: Möchten Sie einen Beitrag leisten, dass mehr friedvolle Menschen unseren Planeten bevölkern? Menschen, die neben den eigenen Bedürfnissen auch die Bedürfnisse anderer sehen und achten? Was könnten Sie tun? Was möchten Sie gern tun? Was werden Sie tun? Was ist heute – jetzt – der erste kleine Schritt dahin?
Aktuelles
Weitere Seminare
09.10.2021 Vertiefungsseminar Gewaltfreie Kommunikation in Jena 2 Tage
24.10.2021 Bildungsurlaub Einführung GfK auf der Nordseeinsel Spiekeroog ausgebucht
14.11.2021 Bildungsurlaub Einführung GfK am Jadebusen bei Wilhelmshaven 5 Tage
Wir machen es: LeserInnen-Treffen an den Helfensteinen am 23. Juli 2021
Unser Coachingbrief erreicht inzwischen 2.000 aktive Leser; wir haben jetzt im 11. Jahr – letzte Woche – die 500. Ausgabe versendet. Mit Ihnen als Leserinnen und Lesern möchten wir das mit einem persönlichen Kennenlernen verbinden.
Wir denken seit längerem darüber nach, unsere Leser miteinander zu verknüpfen und jetzt ist es soweit:
Wer Gleichgesinnte und GFK-Interessierte kennenlernen möchte, kann dies mit uns an diesem magischen Ort tun. Das Gebiet der Helfensteine bei Zierenberg (20 Kilometer nord-westlich von Kassel) wurde bereits 500 v. Christus besiedelt und gilt als ein energetischer Kraftort. Historiker vermuten an dem Platz auch Reste einer keltischen Burg aus dem Hochmittelalter; etwa 12./13. Jahrhundert. Dazu noch liegt der Punkt geographisch ziemlich zentral in Deutschland; wir finden das ist ein passender Treffpunkt.
Wann: Freitag, den 23.07.2021 von 10.00 Uhr bis etwa 16.00 Uhr
(Am Freitag, weil es an den Wochenendtagen dort sehr viele Besucher gibt.)
Wo: Öffentlicher Parkplatz am Dörnberghaus, Auf dem Dörnberg 11, 34289 Zierenberg
Das Programm
- 10.00 Uhr – Ankommen und Orientieren am Parkplatz
- 10.30 Uhr – 600-Meter-Spaziergang zu den Helfensteinen
- Danach zeitlich noch offen:
- Remembering (Ein Impuls zum „Sich-gemeinsam-erinnern“ an besonders wichtige Werte und Bedürfnisse und deren Bezug zur Gewaltfreien Kommunikation.)
- Vertiefendes Kennenlernen untereinander
- Empathie-Spaziergang (… lassen Sie sich überraschen.)
- Überraschungs-Picknick von mitgebrachten Getränken und Speisen
- Singen mit Dörthe (oder zuhören, oder auf eigene Faust die Gegend erkunden)
- Bei allem dabei: Austausch, Gespräche, Verbindung, Lachen, Freuen…
- Abschluss-Runde mit „Feiern & Bedauern“
Das Lesertreffen ist kostenfrei.
Bitte kurz schriftlich bei Anja Palitza anmelden, damit wir die Gruppengröße abschätzen können. anja.palitza@t-online.de
Ausgebucht Hohgant im Sommer erleben
Da unsere Schneeschuhtour im Februar in der Schweiz nicht umsetzbar war, doch ein Jahr ohne Hohgant-Hütte bei uns zu schlimmen Entzugserscheinungen führen würde, haben wir den August-Termin geplant. Wir freuen uns schon riesig darauf. Es war schon immer ein Wunsch von uns, das Hohgant-Massiv mal im Sommer zu besteigen. Seien Sie dabei und verbinden Sie das Lernen Gewaltfreier Kommunikation mit Wandern in grandioser Kulisse im Naturpark Berner Oberland. Vom 10.-14. August 2021
https://www.erfolgsschritte.de/seminare-trainings/m05_gewaltfrei_leben_hohgant_sommer.php
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Weiteres finden Sie auf unserer Website:
https://erfolgsschritte.de/seminare-trainings/termine.php
Es sind noch nicht alle Informationen zu den Seminaren aktualisiert; fragen Sie direkt bei uns nach, wenn Sie konkrete Fragen dazu haben.
Sie sind mit der Mailadresse [email] für den Empfang dieses Coachingbriefes eingetragen.
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Herausgeber:
Hartke Unternehmensentwicklung GmbH
Dunlopstraße 9, 33689 Bielefeld
Fon: 05205 / 7290525 und Fax: 05205 / 7290527
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