Liebe Leserin, lieber Leser,
gestern startete erneut unsere 3-teilige Webinarreihe „Verbale Raumpflege“ und darin geht es im ersten Teil um die Kommunikationssperren nach Thomas Gordon.
Im letzten Teil des 90-minütigen Webinars wollte ich (Olaf) mit den Teilnehmenden auf zwei Praxisbeispiele schauen und habe das in der verbleibenden Zeit nicht mehr untergebracht.
Daher möchte ich der Gruppe ein paar Ideen dazu nachliefern und denke, das passt auch in den Coachingbrief dieser Woche.
Herzliche Grüße, heute von uns beiden von unterwegs aus Italien
Anja Palitza & Olaf Hartke
Zitat: „Die Wirklichkeit, das ist so etwas, wie ein Messer ohne Klinge, an dem der Griff fehlt.“ (Paul Watzlawick)
Information: Ein paar allgemeine Gedanken vorweg:
Die folgenden Beispiele gebe ich verkürzt so wieder, wie ich sie von vorgestern Abend in Erinnerung habe und möglicherweise gebe ich es nicht so genau wieder, wie es gemeint war. Für die theoretische Betrachtung hier reichen die Beispielbeschreibungen jedoch meines Erachtens aus.
Wenn wir in „anstrengenden“ Situationen das Verhalten unseres Gegenübers reflektieren, dann denken wir meistens in Metaphern, wir interpretieren bestimmte Verhaltensweisen sehr subjektiv und bilden Annahmen, Analysen, Bewertungen und Urteile. Bei den Situations-Beispielen nenne ich jeweils ein paar Gedanken-Beispiele dazu. In der Regel verstärken wir damit unsere Gefühle, weil diese Gedanken in den Schemata von „richtig/falsch“ oder „gut/schlecht“ erfolgen.
Der erste Schritt der GFK ist die Wahrnehmung/Beobachtung; wir versuchen die Situation so sachlich und beschreibend zu reflektieren wie möglich. Die gedankliche Umfokussierung auf wahrnehmbares, beobachtbares Verhalten schützt uns vor Interpretationen, Bewertungen und Urteilen, die in der Regel nicht lösungsförderlich wirken.
Bei der „Übersetzung“ von angenommenen Kommunikationssperren in Bedürfnisse des kommunizierenden Menschen unterstellen wir, dass jegliches Verhalten dazu dient, eigene Bedürfnisse zur Erfüllung zu bringen. Wir unterstellen auch, Menschen haben gleiche Bedürfnisse (nicht situativ, sondern allgemein) und können diese Bedürfnisse als positiv und wertvoll anerkennen. Achtung: Verstehen heißt nicht, einverstanden zu sein, mit dem was passiert. Verständnis bezieht sich auf allgemeine und abstrakte Werte und Bedürfnisse. Einverständnis hingegen bezieht sich auf konkretes Verhalten in spezifischen Situationen.
Wenn wir über die Bedürfnisse eines Gegenübers „spekulieren“, bilden wir Annahmen, eine Art von Arbeitshypothese. Wir „wissen“ nicht die Bedürfnisse anderer, wir haben Ideen dazu, zur Erfüllung welchen Bedürfnisses das jeweilige Verhalten beitragen soll. Erstes Ziel ist es, über das Bedürfnis des Gegenübers wieder die Menschlichkeit im Gegenüber zu entdecken. Statt durch bewertende und urteilende Gedanken in uns selbst Ärger zu erzeugen. Das zweite Ziel ist es, reflektierter und entspannter mit Situationen umgehen zu können, um sich wirksam für die eigenen Bedürfnisse einsetzen zu können.
Eine weitere wichtige Ebene ist natürlich die Reflektion der eigenen „unangenehmen“ Gefühle in den Situationen (frustriert, ärgerlich, ratlos, enttäuscht…), denn die weisen uns auf unsere Bedürfnisse hin. Auf die Frage: Was ist mir gerade wichtig, welchen Wert vermisse ich hier? Doch bei der Verwandlung von „Kommunikationssperren“ in „Verständnis für das Gegenüber“ – mit dem Ziel, entspannter mit dem Verhalten anderer Menschen umgehen zu können und in Folge dieser Reflektiertheit sinnvoller in der Situation reagieren zu können – geht es erstmal um die Bedürfnisse des Gegenübers. Was nicht bedeutet, dass unsere Bedürfnisse weniger wichtig wären; wir entschließen uns lediglich, sie erstmal für einen Moment zu „parken“.
Beispiele: Hier also gekürzt zusammengefasst die Beispiele des gestrigen Abends:
„Mansplaining“ – Ein Mann, der Michelangelos Bild der sich berührenden Fingerspitzen erklärt.
Man sitzt zusammen im italienischen Lokal, an einer Wand befindet sich in großer Darstellung Michelangelos Bild, das Gottes Angebot des „Lebensfunkens“ an Adam symbolisiert. Ein Mann fragt in die Runde, ob alle wissen, wofür das Bild steht und beginnt dann zu erklären, wo und wann das Original entstand und was es genau bedeutet.
Kommunikationssperre: Beteiligte Frauen erleben sich belehrt, unwissend und vorgeführt.
Interpretations-Falle in der Alltagskommunikation: Das macht er doch nur, um hier sein Wissen zur Schau zu stellen. Er will wohl was Besseres sein. Er will uns hier vorführen und uns unsere Unwissenheit bewusst machen. Er ist überheblich. Das ist wieder klassisch diese ätzende Mansplaining. (Männer erklären etwas oder informieren über etwas gegenüber Frauen, die dazu nicht aufgefordert haben und erwecken damit den Anschein einer Abwertung der weiblichen Expertise.)
Beobachtung: Ein Mann weist auf das Bild und fragt: „Wisst Ihr, wofür das Bild steht und was es ausdrücken soll?“ Anschließend beginnt er, eine Reihe von Informationen zu dem Bild zu geben. Die anderen Anwesenden schweigen währenddessen.
GFK-Haltung: Bewertende und urteilende Gedanken als im Rahmen unserer Sozialisierung gut gelernte Interpretations-Muster erkennen und ein anderes mögliches „Wirklichkeits-Konstrukt“ erzeugen, wie zum Beispiel: Er ist ein Mensch, der mit der Strategie der Wissenspreisgabe ein Bedürfnis zur Erfüllung bringen möchte. Um die Erfüllung welcher Bedürfnisse könnte er gerade ringen?
Gedanklich mögliche Bedürfnisse des Mannes vermuten: Etwas sinnvolles zur Unterhaltung beitragen? Etwas teilen, das man interessant findet? Auf die Besonderheit von etwas hinweisen? Anerkennung oder Aufmerksamkeit erhalten für besonderes Wissen? Das Interesse von Frauen an der eigenen Person wecken? Das eigene Selbstbild als „Wissender“ zeigen, um in einer Gruppe sichtbar und erlebbar zu werden?
Mit diesen Bedürfnissen „in Kontakt gehen“; sie ganz allgemein als Qualitäten anerkennen und „die Schönheit der Bedürfnisse zu spüren“. („Die Schönheit in Menschen sehen zu können, ist dann am notwendigsten, wenn sie auf eine Weise kommunizieren, die es gleichzeitig am anstrengendsten macht, sie zu sehen.“ (Marshall B. Rosenberg)
Nach der Anerkennung der Bedürfnisse des Gegenübers auch eigene Bedürfnisse reflektieren und dann entscheiden, wie man mit der Situation umgehen möchte.
Möglichkeiten: „Ich merke, ich brauche grad keine weiteren Infos über das Bild. Was mich hingegen interessieren würde, das ist…“
„Ich unterbreche Dich mal, denn ich habe genug Infos über das Bild gehört. Können wir das Thema wechseln?“
„Stopp mal. Mehr als Dein Wissen interessiert mich, welche Bedeutung das Bild für Dich persönlich hat. Kannst Du mir dazu was erzählen?“
„Danke, die Infos reichen. Ich würde gern mit Dir über XY sprechen, geht das auch?“
In einer Gruppe wären auch andere Selbstfürsorge-Aktionen möglich: Einen weiteren Blick in die Speisekarte werfen. Parallel ein Gespräch mit jemand anders beginnen.
„Kritisierende Mutter“ – Eine Mama, die die Menschen kritisiert, von denen ihre Tochter erzählt.
Eine erwachsene Tochter erzählte ihrer Mutter immer wieder mal von Erlebnissen aus Ihrem Leben. Irgendwann bemerkte sie, dass ihre Mutter ständig die in den Situationen vorkommenden Menschen aus dem Leben der Tochter kritisierte und „schlecht machte“. Die Tochter begann damit, immer weniger zu erzählen, bis sie schließlich nur noch allgemeines und unverfängliches als Gesprächsthemen hatten.
Kommunikationssperre: moralisierende Urteile, kritisieren
Interpretations-Falle in der Alltagskommunikation: Sie kritisiert schon wieder meine Bekannten und Freund*Innen. Sie betreibt wieder „schlechtreden“ zu dem, was vorgefallen ist. Sie findet immer das Haar in der Suppe. Nie sieht sie die guten Eigenschaften von Menschen, immer nur das Negative. Sie ist sowas von kritisch, fast schon verbittert. Sie kann nur noch meckern über andere.
Beobachtung: Eine Mutter hört sich an, was ihre Tochter erzählt. In verschiedenen Momenten dieser Dialoge gibt die Mutter preis, was sie über die beteiligten Menschen denkt. In der Regel sind das Aspekte, die der Mutter nicht gefallen.
GFK-Haltung: Den Gedanken, dass meine Mutter zu kritisch, zu negativ ist, zu… irgendetwas ist, keinen Glauben schenken. Diese Interpretationen loslassen und stattdessen eine andere Form von Realität herbeidenken: Mutter versucht, sich Bedürfnisse zu erfüllen. Welche könnten das sein?
Gedanklich mögliche Bedürfnisse der Mutter vermuten: Sorgen um das eigene Kind zum Ausdruck bringen? Menschen, die man mag, vor möglichen Gefahren warnen? Wirksamkeit in Bezug auf die Entwicklung von liebgewonnenen Menschen? Im Kontakt mit dem eigenen Kind bleiben, Bedeutung als Elternteil behalten wollen? Als Orientierungsgeberin, Ratgeberin fürsorglich dienen wollen?
Mit diesen Bedürfnissen „in Kontakt gehen“; sie ganz allgemein als Qualitäten anerkennen und „die Schönheit der Bedürfnisse zu spüren.“ Nach der Anerkennung der Bedürfnisse des Gegenübers auch eigene Bedürfnisse reflektieren und dann entscheiden, wie man mit der Situation umgehen möchte.
Möglichkeiten: Empathische Vermutung aussprechen. „Du bist besorgt und möchtest, dass Deine Tochter sicher und geschützt ist?“ „Du möchtest sicherstellen, dass man vorsichtig ist im Umgang mit bestimmten Menschen?“ „Du möchtest beitragen mit Deiner Lebenserfahrung?“
Oder Aufrichtigkeit in vier Schritten. „Mehrfach habe ich heute von Dir gehört, dass Dir nicht gefällt, was meine Freunde tun. Ich bin frustriert und mir ist wichtig, dass auch die Gründe gesehen werden, weshalb diese Menschen für mich wichtig sind. Gibt es auch Qualitäten, die Du in ihnen sehen kannst?“
Wochenaufgabe: Versuchen Sie hinter Aussagen, die man als Kommunikationssperren ansehen kann, stattdessen die Bedürfnisse der Menschen zu entdecken. Prüfen Sie, ob Sie in den Situationen gelassener und überlegter reagieren, wenn Sie statt bewertender Gedanken in Kontakt mit den Bedürfnissen des Gegenübers kommen.
Aktuelles
Gratis-Webinar: Tragfähige Team-Entscheidungen treffen
Möchten Sie eine Methodik für Gruppen-Entscheidungen kennenlernen, die zu gemeinsamen Entscheidungen mit großer Tragfähigkeit führt? Wir stellen Ihnen das Modell „Systemisch Konsensieren (SK)“ an drei verschiedenen Praxisbeispielen vor.
Intensiv-Workshop in der Hohgant‑Berghütte (bei Interlaken)
Online-Trainings 2025
06.11.2025 Trainer(Innen)-Ausbildung online (4 Module, 20 Tage, Trainerteam)
Präsenz-Seminare 2025
12.12.2025 Auszeit für Unternehmer-Paare – Jahresplanung 2026 (2 Tage)
09.01.2026 Start in das neue Jahr 2026 mit Gewaltfreier Kommunikation in Hünfeld (3 Tage)
17.02.2026 Start der Trainer*Innen-Ausbildung (4 Module, 22 Tage, Trainerteam)
24.02.2026 „Gewaltfrei leben“ – Schneeschuhwanderung zur Hohganthütte (ausgebucht)
13.03.2026 Auszeit für Unternehmer-Paare – Ziele-Update im Frühjahr (1 Tag)
15.03.2026 Bildungsurlaub „Einführung GfK“ auf Spiekeroog (5 Tage)
17.05.2026 Bildungsurlaub „Einführung GfK“ Kunze-Hof (5 Tage)
05.06.2026 Auszeit für Unternehmer-Paare – Halbzeit! Zwischenbilanz im Sommer (2 Tage)
28.08.2026 Start der „Wandeltage 2026“ – GFK-Jahresgruppe (6 Module)
11.09.2026 Auszeit für Unternehmer-Paare – Ziele-Update im Herbst (1 Tag)
13.09.2026 Bildungsurlaub „Führungskräftetraining auf Basis GfK“ im Kunze-Hof (5 Tage)
22.09.2026 Gewaltfreie Kommunikation in Verbindung mit Klang und Gesang (5 Tage)
15.11.2026 Bildungsurlaub „Führungskräftetraining auf Basis GfK“ im Kunze-Hof (5 Tage)
11.12.2026 Auszeit für Unternehmer-Paare – Jahresplanung 2027 (2 Tage)
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